Als ich gesehen habe, es gibt eine Fortsetzung, hatte ich gehofft, sie würde nicht ganz so geheimnisvoll werden und dass wir mehr über die Figuren erfahren werden. Doch nachdem ich bemerkt habe, dass Emily Blunt diesmal gar nicht mitspielt (und dementsprechend auch nicht der weitere FBI-Stab des ersten Films), war ich schon mal geknickt. Als Ersatz dienen diesmal zum einen Catherine Keener als stellvertretende CIA-Direktorin, die als Puffer zwischen dem Verteidigungsminister (Matthew Modine) und Matt Graver fungiert (aber auch nicht mehr), sowie zum anderen die 12-jährige Isabela Moner, die Tochter des Kartellbosses Reyes, die es zu entführen gilt.
Beide Figuren bleiben recht eindimensional - die eine an Vorschriften gebunden, die andere von ihrem Luxusstatus voreingenommen. Dafür erfahren wir mehr über die Herrschaften, was Matt und Alejandro bewegt und wie sie die Geschichte vorantreiben. Auch der offizielle CIA-Offizier Steve Forsing ist wieder mit von der Partie, erneut von Burn Notice-Star Jeffrey Donovan gespielt, der hier entsprechend des Wegfalls von Figuren mehr Präsenz bekommt.
»Dirty is exactly why you're here.«
Neben den drei CIA-Verbündeten im Film ist lediglich Autor Taylor Sheridan hinter der Kamera wieder mit von der Partie. Seine Idee war es, mit dieser Geschichte die aktuelle Weltlage und die instabile Natur des Drogenhandels zu reflektieren: »Die Situation in den USA verändert sich, da bestimmte Drogen legalisiert werden und verschreibungspflichtige Medikamente zu den bevorzugten Entspannungsdrogen avancieren. Das heißt, die Kartelle müssen sich neue Märkte erschließen. Und ich schaue mir an, um welche Produkte es dabei geht.«
Aktuell heißt die Ware Mensch – genauer gesagt: der Menschenschmuggel über die Grenze. »In diese Richtung hat sich der Drogenhandel hin entwickelt. Dieses Thema ist düster, es zerreißt dir dabei das Herz. Aber gleichzeitig ist es auch ungeheuer mächtig und sehr real«, so Produzentin Molly Smith. Regisseur Stefano Sollima fühlte sich von diesem Thema direkt angesprochen, weil es sich nicht nur auf die US-mexikanische Grenze beschränkt: »Es betrifft die ganze Welt, nicht nur die USA. In Europa ist es das Gleiche. Menschen versuchen aus extrem armen Ländern zu entkommen und träumen von einem anderen Ort, wo sie ein besseres Leben führen können. Doch leider ist das selten der Fall.«
Und so beginnt der Film auch gleich mit dem Akt: Menschen flüchten im Dunkeln durch die Wüste in die USA, während die Grenzer mit Wärmebildkameras Jagd auf sie machen. Einer der Flüchtenden seilt sich ab, doch er kann den Kontrollkräften nicht entkommen, sprengt sich mit einem Gurt in die Luft. An der Grenze. Im Dunkeln. Allein. Ohne externen Schaden. Wer macht sowas? Zu allem klischeebehafteten Überfluss findet man noch drei verlassene Gebetsteppiche. Kurze Zeit später sehen wir, wie drei Arabischstämmige einen Supermarkt in die Luft sprengen - samt Frauen und Kindern.
Solche Grausamkeit führt natürlich dazu, dass der Film (zusammen mit dem Frauenmangel) auch nicht mehr massentauglich ist und von der FSK keine Jugendfreigabe erhält. Taylor Sheridan war vom italienischen Regisseur beeindruckt: »Das ist eine sehr realistische und sehr unsentimentale Geschichte. Wir wollen die Gewalt nicht verherrlichen und wir wollen auch nicht banalisieren, was die Figuren durchmachen. Deshalb brauchst du einen kompromisslosen Filmemacher, der sich nicht fürchtet, diese schockierenden Ereignisse zu zeigen, sie aber auch nicht aufbauscht.«
»You think change is the goal? You're in this too long for you to believe that.«
Was den Stil der Sicario-Sage angeht, so sah der Regisseur eine starke Ähnlichkeit zu seiner eigenen Handschrift: »Dieses Projekt gab mir die Chance, Action und insbesondere physische statt visueller Effekte einzusetzen. Auf diese Weise war es möglich, die Schauspieler hautnah in die Situation zu versetzen und die harten Themen der Geschichte dramatisch aufzubereiten. Das ist eine meiner liebsten Arbeitsmethoden.«
Stefano Sollima kennt sich mit der Thematik aus, stammen von ihm doch die Filme Suburra und ACAB - All Cops are Bastards. Auch bei der Serie Gomorra hat er in 10 Folgen Regie geführt. Und ein anderer Regisseur nimmt sich auch einen anderen Kameramann, um seine Vision passend umzusetzen. Dariusz Wolski, der u.a. die Piraten der Karibik und den Marsianer Mark Watney ins rechte Licht gesetzt hat, kehrt mit Sicario 2 zu seinen Ursprüngen wie Romeo is bleeding, The Crow oder Dark City zurück.
»Wir drehen Totalen, wir drehen Nahaufnahmen. Wir versuchen definitiv die Größendimensionen dieser Geschichte zu vermitteln. Das ist für Stefano sehr wichtig. Wir versetzen die Figuren in Konfliktsituationen großen Maßstabs, ob in der Wüste oder im Grenzstreifen«, so der Kameramann. Der Regisseur plante nach eigenem Bekunden »lange, lange Einstellungen zu drehen und bei den Figuren zu bleiben, damit wir sie auch in den spektakulären Momenten dieses Films nicht verlieren.«
Auch beim Ton gab es Änderungen. Da der Komponist des ersten Films, Jóhann Jóhannsson, Anfang des Jahres überraschend verstarb, entschied man sich für dessen Protégé und Mitstreiterin Hildur Guðnadóttir: »15 Jahre lang haben wir an fast jedem Projekt ganz eng zusammengearbeitet«, so die Komponistin. »Seit seinem Tod ist kaum Zeit vergangen. Ich bin noch nicht wirklich damit klargekommen, dass er nicht mehr da ist. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich einen Staffelstab entgegengenommen habe. Ich mache einfach mit unserer bisherigen Arbeit weiter. Das fühlt sich gleichermaßen natürlich wie surreal an. Ich kann es nicht besser ausdrücken, weil ich das noch nicht verwunden habe.«
»Hildur besitzt das einzigartige Talent, mit einem klassischen Instrument wie dem Violoncello einen elektronischen Sound zu kreieren und dann diese Töne so eingehend zu bearbeiten, dass sie sich letztlich von dem eigentlichen Instrument unterscheiden«, so der Regisseur. »Abgesehen davon, dass sie bereits mit Jóhann zusammengearbeitet hatte und zur gleichen Schule gehörte, wollte ich sie vor allem deshalb für die Musik, weil sie Sound organisch manipulieren konnte. Sie vermittelte den spezifischen emotionalen Druck der einzelnen Figuren auf ihre individuelle Weise.«
Laut Hildur Guđnadóttir spiegelt die stärkere Gefühlsbetontheit der Musik von Sicario 2 den emotionalen Kern des Films wider: »Das ist ein „klassischerer“ Soundtrack, dessen Themen bestimmte Gefühlslandschaften beschreiben. Das war Stefano wichtig. Es gibt auch wesentlich mehr Musik in Sicario 2. Ich glaube, dieser Soundtrack ist doppelt so lang wie der Soundtrack des ersten Films. Die Musik vermittelt ein anderes Gefühl, weil sie eine andere Funktion hat. Auch das war eine Vorgabe Stefanos. Er betonte ausdrücklich, dass er nicht die Musik von Sicario nachahmen, sondern ganz neue Richtungen einschlagen wollte.«
Trotzdem gibt es ihrer Meinung Ähnlichkeiten: »Am offensichtlichsten sind sie wahrscheinlich in der Klangwelt. Ich war ja auch am ersten Soundtrack beteiligt, deshalb gibt es natürlich Gemeinsamkeiten zur Fortsetzung. Nachdem ich mein halbes Leben lang Hand in Hand mit Jóhann gearbeitet habe, waren unsere Denk- und Herangehensweisen in Sachen Musik eng miteinander verflochten und wir haben einander stark beeinflusst. Deshalb ähnelten sich die gedanklichen Prozesse beider Soundtracks.«
»I will always be a message. But only now the message is different.«
Das Kernstück der Sicario-Sage ist die spannungsreiche und auch vorbelastete Beziehung zwischen Alejandro und Matt: »Man liebt die Ehrlichkeit und den Realismus, mit dem die Figuren porträtiert werden«, so Stefano Sollima. »Man kann sie lieben, aber sie handeln nicht immer heldenhaft. Sie töten Menschen. Sie sind brutal und hart. Sie sind aber auch menschlich. Indem wir ihre Menschlichkeit und ihre Seele zeigen, werden sie zu Figuren, mit denen wir mitempfinden.« Man wird hier also als Zuschauer dazu genötigt, in den beiden Figuren Identifikationspotenzial zu finden.
»Wir haben zwei männliche Protagonisten, die wie Gegenspieler wirken, ohne es zu sein«, sagt Josh Brolin, der seine Flip-Flops aus dem ersten Film gegen Crocs eingetauscht hat. »Das ist für mich das Interessante an diesem Film. Man hat diese Typen, die die Guten sind, aber eigentlich sind sie’s nicht. Und sie landen in ziemlich üblen Situationen, aber die Menschen, mit denen sie konfrontiert werden, leben in solcher Armut, dass man auch für sie Verständnis hat.«
Für Benicio del Toro sieht Alejandros Entwicklungsbogen folgendermaßen aus: »Sein neuer Auftrag besteht darin, einen Krieg zwischen den Drogenkartellen anzuzetteln. Er muss also so tun, als würde er selbst zu einem Kartell gehören. Darum ist er gezwungen, das nachzuspielen, was man seinem eigenen Kind angetan hat. Auf seiner Reise verstehen wir, dass er ein Gewissen hat, denn er wird zum Beschützer eines unschuldigen Opfers. Das ist eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der es weniger um politische Themen, sondern um den menschlichen Geist geht. Im Zentrum stehen die Figuren und derer Plan, nicht so sehr die großen, übergeordneten Probleme.«
Wenn wir dann am Ende Alejandro sehen, wie er nach dem Überleben eines Kopfschusses (!) schließlich seine lang ersehnte Genugtuung erfährt, kommt die Frage nach der Zukunft auf. Ob da eine weitere Fortsetzung geplant ist? Bleibt zu hoffen, dass dann wieder Kate Macer im Mittelpunkt steht. Emily Blunt ist jedenfalls derzeit voll beschäftigt - vom Quasi-Familienfilm A quiet Place mit Ehemann John Krasinski über die Neuverfilmung von Mary Poppins bis hin zur Fortsetzung von Edge of Tomorrow kann sie ihre ganze Bandbreite zeigen. Josh Brolin hat ja vor kurzem erst fallen lassen, dass er eine längere Pause einlegen wird, nachdem er sich in so vielen Filmen kurz hintereinander verausgabt hat. Sicario 2 muss man nicht im Kino sehen, auch wenn die Landschaftsbilder oft dazu einladen. An die traumhaften Einstellungen von Roger Deakins kommen sie jedenfalls bei weitem nicht heran. Hinzu kommt ein offensichtliches Statement für die Regierung Trumps, was einen Beigeschmack gibt, der noch bitterer ist als der Film selbst. ■ mz
18. Juli 2018
Drama/Thriller
USA 2018
123 min
mit
Benicio del Toro (Alejandro Gillick)
Josh Brolin (Matt Graver)
Isabela Moner (Isabel Reyes)
Jeffrey Donovan (Steve Forsing)
Catherine Keener (Cynthia Foards)
Elijah Rodriguez (Miguel Hernandez)
Shea Whigham (Andy Wheeldon)
Manuel Garcia-Rulfo (Gallo)
Matthew Modine (James Riley)
David Castañeda (Hector)
u.a.
drehbuch
Taylor Sheridan
musik
Hildur Guðnadóttir
kamera
Dariusz Wolski
regie
Stefano Sollima
produktion
Black Label Media
Rai Cinema
Thunder Road Pictures
verleih
STUDIOCANAL
vorspann
Logos, Texttafel
abspann
Titeleinblendung, Rücklaufender Vorspann, dann gewöhnlich rollender Abspann
erwähnung
In Memory of Jóhann Jóhannsson
USA 2018
123 min
mit
Benicio del Toro (Alejandro Gillick)
Josh Brolin (Matt Graver)
Isabela Moner (Isabel Reyes)
Jeffrey Donovan (Steve Forsing)
Catherine Keener (Cynthia Foards)
Elijah Rodriguez (Miguel Hernandez)
Shea Whigham (Andy Wheeldon)
Manuel Garcia-Rulfo (Gallo)
Matthew Modine (James Riley)
David Castañeda (Hector)
u.a.
drehbuch
Taylor Sheridan
musik
Hildur Guðnadóttir
kamera
Dariusz Wolski
regie
Stefano Sollima
produktion
Black Label Media
Rai Cinema
Thunder Road Pictures
verleih
STUDIOCANAL
vorspann
Logos, Texttafel
abspann
Titeleinblendung, Rücklaufender Vorspann, dann gewöhnlich rollender Abspann
erwähnung
In Memory of Jóhann Jóhannsson