Donnerstag, 25. April 2024
Interview mit John Carroll Lynch
Lucky

John Carroll Lynch wurde in Colorado geboren. Seine erste große Filmrolle hatte er 1996 als Norm an der Seite von Frances McDormand als Marge in dem Oscar®-gekürten Meisterwerk Fargo der Coen-Brüder. Zu dieser Zeit war er noch Mitglied der Guthrie Theater Action Company in Minneapolis. Seither hat er beständig in Film, Fernsehen und Theater gearbeitet und eine beachtliche Vielseitigkeit an den Tag gelegt. Wenn es eine Konstante in seiner Karriere gibt, dann ist es die außergewöhnliche Bandbreite an Figuren, die er spielt. Er ist Zuhause in der Komödie, dem Drama und jedem erdenklichen Genre - von Thriller über Mystery über Melodrama und Horror.

Mittlerweile kann er auf mehr als 50 Kinoarbeiten verweisen, viele davon von namhaften Regisseuren. Im Fernsehen spielte er in zahlreichen Serien, wobei sein Auftritt als Twisty the Clown in American Horror Story sicherlich eine der auffälligsten Rollen war. Darüber hinaus spielte er u.a. in TURN - Washington Spies, The Americans, Body of Proof, Carnivàle, From the Earth to the Moon sowie The Brotherhood of Poland, NH, einer Serie aus der Feder von David E. Kelley, der ebenfalls für Picket Fences verantwortlich zeichnet, worin Tom Skerritt die Hauptrolle spielte, der hier in Lucky einen Gastauftritt hat. Und bei Picket Fences arbeitete Tim Suhrstedt hinter der Kamera, der auch für die Bilder in Lucky zuständig war.

John Carroll Lynch, der nicht mit David Lynch verwandt ist, arbeitet weiter mit großem Eifer für das Theater. Höhepunkte umfassen die Hauptrolle als Eddie Carbone in Arthur Millers „A View from the Bridge“, die Originalproduktion des Pulitzer-Preis-prämierten „Dinner with Friends“, „Under the Blue Sky“ sowie Beth Henleys Weltpremiere „Ridiculous Fraud“ am McCarter Theater in New Jersey. Zuletzt war er als einen der beiden McDonald-Brüder in The Founder und als Lyndon B. Johnson in Jackie zu sehen. Seine folgenden Filme, Anything (2017) und White Orchid (2018) haben noch keinen deutschen Starttermin. John Carroll Lynch fühlt sich geehrt, mit Lucky sein Regiedebüt geben zu dürfen.

Was gefiel Ihnen am Drehbuch von Logan Sparks und Drago Sumonja?
In erster Linie fand ich das Drehbuch sehr lustig. Mir gefielen die Dialoge, die Figuren und dieses Gefühl von Gemeinschaft, das eine wichtige Rolle spielt. Diese Kleinstadt bezieht alle mit ein – selbst wenn man, wie Lucky, der Ansicht ist, nicht dazu zu gehören. Außerdem erschien es mir so, dass mich das Drehbuch mit jemandem bekannt machen würde, den ich in dieser Form noch nie in einem Film gesehen habe, jemanden, der in vielerlei Hinsicht der geborene Verweigerer ist. Lucky lebt am Rand der Stadt und am Rand seiner Sterblichkeit – ohne große Fanfare und ohne große dramatische Ereignisse tritt er seiner Isolation und seiner Verbindung mit der Ewigkeit entgegen.
Stand schon beim Verfassen des Drehbuchs fest, dass Harry Dean Stanton die Titelfigur spielen sollte, oder wie konnten Sie ihn von der Mitwirkung überzeugen?
Die Geschichte wurde hundertprozentig für Harry Dean geschrieben. Sie ist ein Liebesbrief an den Schauspieler und den Menschen. In seiner Essenz ist das Drehbuch biographisch. Luckys Geschichten und sein Verhalten beziehen sich auf Harrys Leben. Logan Sparks ist ein langjähriger Freund von Harry, er kennt ihn sehr gut, und er ließ seine Erkenntnisse in das Drehbuch einfließen. Sehen Sie sich Luckys erste Dialogzeile des Films an. Er marschiert in Joe’s Diner und sagt zu Joe: „Du bist nichts.“ Joe antwortet: „Du bist auch nichts.“ Und Lucky sagt: „Danke.“ Das ist ein verbaler Schlagabtausch, wie ihn Harry regelmäßig im Ago’s in Los Angeles hatte. Er und der Typ am Empfang hatten diesen Austausch jedes Mal, wenn Harry das Restaurant besuchte. Das ist es, was Harry dachte, das wir alle sind - Nichts.
Wir empfanden es als eine große Verantwortung, für den Film aus Harrys Leben und seinen Begegnungen mit anderen Menschen zu schöpfen, die Geschichte eines Mannes, dem urplötzlich unmissverständlich klar wird, dass sein Leben eher nur noch Wochen oder Monate dauern wird und nicht mehr Jahre oder sogar Jahrzehnte. Der Film musste auch Luckys Reise von Etwas zu Nichts widerspiegeln, aber nicht durch ein Abhaken letzter Wünsche - keine Banküberfälle, keine Sprünge aus Flugzeugen. Das sind zwar dramatische Ereignisse, sie haben aber doch nicht wirklich etwas mit den Erfahrungen zu tun, wie die meisten von uns sie machen. Wir verändern uns von innen und nicht von außen heraus. Aber vor allem wollten wir Harry feiern, ihm ein Denkmal setzen. Deshalb steht im Vorspann auch „Harry Dean Stanton ist Lucky“.
Beschreiben Sie, wie Sie bei der Auswahl der Nebendarsteller vorgingen! Wie gelang es Ihnen, eine so namhafte Besetzung zu versammeln?
David Lynch und Ed Begley kamen an Bord, weil sie schon seit Jahren enge Verbündete von Harry waren. Auch ihre Figuren wurden mit ihnen im Hinterkopf geschrieben. Logan ist es zu verdanken, dass das geklappt hat. Die Besetzung der anderen Figuren würde ich als Rolodex-Casting bezeichnen. Mit Ron Livingston, Barry Shabaka Henley und Beth Grant hatte ich bereits gearbeitet. Bertilla Damas [Bibi] ist eine Bekannte von mir. Ira Baer [Produzent Ira Stephen Baer] wiederum kannte James Darren [von Star Trek: Deep Space Nine]. Hugo Armstrong [Vincent] ist ein guter Freund von Drago. Yvonne trafen wir durch andere Unterstützer des Projekts. Weitere Darsteller kamen durch ganz normales Casting dazu. Ich stelle mir vor, dass die Aussicht darauf, Harry Dean feiern zu können, eine gewisse Anziehungskraft besaß. Zumindest für mich war das so.
Wie war für Sie der Wechsel hinter die Kamera?
Ich hatte mir schon lange vorgenommen, einmal Regie zu führen. Ich war unglaublich dankbar, dass Drago und Logan mir den Film angeboten haben. Sie haben mir viel Vertrauen entgegengebracht. Ich habe mich schon immer dafür interessiert, als Schauspieler über meinen Tellerrand hinaus zu schauen. Ich will die ganze Geschichte verstehen, alle Abläufe, ich habe Film auch als Geschichtenerzähler studiert. Die Lernkurve war, wie ich festgestellt habe, als würde man einen Achttausender im Himalaya erklimmen.
Es ist eine Sache, eine Geschichte zu verstehen. Aber dann muss man herausfinden, wie man sie von hinten aufzäumt. Stellen Sie sich eine Brücke vor. Um eine Brücke zu bauen, muss man erst einmal den Apparat herstellen, um diese bauen zu können. Das ist es, was Regisseure und Produzenten von filmtechnischer Seite leisten. Man muss die Abläufe festlegen und die Maschine zusammensetzen und Kollegen finden, die die Kamera, das Szenenbild, die Kostüme bedienen und ihre Körper und Seelen bereitstellen, damit die Geschichte erzählt werden kann. Viele dieser Abläufe waren neu für mich. Aber meine Instinkte als Geschichtenerzähler kommen von den Figuren und der Geschichte. Und ich habe festgestellt, dass es meinen Mitstreitern genauso erging.
Dann musste ich lernen, wie man die schauspielerischen Leistungen und die Persönlichkeiten aller Beteiligten in Echtzeit orchestriert und ineinandergreifen lässt, um das Rohmaterial entstehen zu lassen, dass man in der Nachproduktion zur Verfügung hat, um schließlich den Film zu formen. All das war aufregend, schwierig, schmerzhaft und überwältigend. Und es hat unfassbar viel Spaß gemacht.
Viele Schauspieler geben sich in ihren Regiedebüts selbst Rollen. Waren Sie auch in Versuchung – oder wollten Sie sich von vornherein auf die Regie konzentrieren?
Eigentlich sollte ich Joe spielen. Aber nachdem mir bewusst wurde, auf was ich mich wirklich konzentrieren sollte, erschien mir der Gedanke albern. Meine Mitwirkung als Schauspieler war nicht nötig, um die Finanzierung zu sichern, also schien es mir klüger, nicht auch noch vor der Kamera wirken zu wollen. Außerdem wollte ich mit dieser Stadt die Welt reflektieren lassen, in der ich lebe, wo wir alle Seite an Seite leben. Mir war es deshalb wichtig, Schauspieler unterschiedlichster Herkunft im Film zu haben. Aber abgesehen von diesem Wunsch lag es auf der Hand, Barry die Figur des Joe spielen zu lassen. Jeder kann sich glücklich schätzen, ihn in seinem Film zu haben.
Sie sitzen nicht nur zum ersten Mal auf dem Regiestuhl, in Lucky haben Sie einen berühmt-berüchtigten Regisseur, der für Sie vor der Kamera steht. Wie war die Arbeit mit David Lynch?
David war großzügig, aufmerksam, unterstützend, gut vorbereitet und zu allem bereit. Es war deutlich, dass er nichts anderes wollte, als nur als Schauspieler aufzutreten. Ich denke mir, dass er als Schauspieler so war, wie er es sich als Regisseur immer von seinen Schauspielern erhofft. Und ich habe an den Tagen, an denen er bei uns war, viel darüber gelernt, wie sich ein Schauspieler am Set verhält.
Es gab da einen Moment, an dem Harry mit einer Textstelle rang. Ich versuchte ihm zu erklären, warum diese Worte an der Stelle goldrichtig waren. Harry war nicht überzeugt. Wie das immer wieder bei einem Dreh passiert, wandte sich ein Schauspieler an den anderen, um gewisse Dinge zu klären. In diesem Fall war das David Lynch. Harry wandte sich an David und fragte ihn: „Verstehst du das?“ Und David sagte: „Ja, Harry.“ Harry sagte: „Was zum Teufel soll es bedeuten?“ David sah mich an und ich meinte: „Erklär es ihm ruhig.“ Er wandte sich wieder an Harry und sagte ganz ruhig und nachdrücklich: „Es steht mir nicht zu, das zu sagen, Harry.“ Wow. Ich war beeindruckt davon, wie respektvoll er war und wie wichtig es ihm war, dass ich derjenige sein müsste, der die Situation klärt. Harry spielte den Moment, wie er im Drehbuch stand, und wir machten weiter. Das war sehr cool.
Ach ja, später im Schneideraum stellte ich dann fest, dass Harry Recht gehabt hatte. Wir brauchten diesen Satz tatsächlich nicht. Ich habe ihn herausgeschnitten. Harry wusste schon, was Sache war!
Lucky lässt sich als Einzelgänger beschreiben, aber die Menschen in seiner Kleinstadt haben ihn trotzdem in ihr Herz geschlossen. Wie würden Sie beschreiben, wie Lucky sein Leben sieht?
Auf gewisse Weise kommt es mir so vor, dass die Stadt Lucky besser versteht als Lucky sich selbst. Er hält sich für eine Insel. Und bis unsere Geschichte einsetzt, empfindet er sich selbst nicht als Teil der Gemeinde - und das, obwohl er das eigentlich immer schon war. Es ist diese Illusion der Unabhängigkeit, an die wir uns alle klammern. Er geht jeden Tag durch die Stadt, und jeder kennt ihn und hat Gefühle für ihn. Auch wenn er selbst nur wenig oder gar nichts für sie empfindet. Er ist ein bisschen wie Boo Radley.
Wo wurde der Film gedreht?
Wir wollten, dass Harry jede Nacht in seinem eigenen Bett schlafen konnte. Wir drehten also in der Wüste nördlich von Los Angeles. Dann hatten wir noch einen Drehtag in Cave Creek, Arizona, um die Aufnahmen der Wüste und der Riesenkakteen unter Dach und Fach zu bekommen. Und der Schildkröte. Und der Riesenkakteen. Und der Schildkröte.
Empfanden Sie es als Herausforderung, all das Gewünschte mit dem limitierten Budget, das Ihnen zur Verfügung stand, umzusetzen?
Ich denke, es macht keinen Unterschied, ob man 200 Millionen Dollar zur Verfügung hat oder 20 Millionen Dollar. Man steht immer unter Zeitdruck. Aber sicher, 18 Drehtage waren eine Herausforderung. Wovon aber wirklich alles abhing, war Harrys Energie. Vor dem Dreh von Lucky hatte ich die Hauptrolle in einem Film mit 18 Drehtagen gespielt. Da war ich in jeder Szene, hinterher war ich fix und fertig. Und dabei bin ich nur ein bisschen mehr als halb so alt wie Harry.
Wir erstellten einen Drehplan mit so wenigen Fünf-Tage-Wochen wie möglich. Wir versuchten, mit seiner Energie hauszuhalten, so gut wir konnten. Manchmal ging es einfach nicht. Bei den Laufszenen mit ihren Wiederholungen legte Harry ungefähr fünf Kilometer bei 35 Grad Hitze zurück. Und das war nur, was man auf der Leinwand sieht. Er hat wirklich alles gegeben. ■ mz | Quelle: Alamode Film
8. März 2018

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