Die meisten Leute kennen Timm Thaler aus dem Fernsehen, wo Tommy Ohrner 1979 die Titelfigur in der ersten ZDF-Weihnachtsserie spielte. Die 13-teilige Miniserie war so spannend und düster, besonders dank Horst Frank als Baron de Lefuet und der Musik von Christian Bruhn, dass die Handlung für Kinder unter sechs Jahren noch zu komplex und nicht leicht zu verstehen sein vermochte. Aber dafür haben wir ja jetzt den Kinofilm, den erstaunlicherweise Andreas Dresen inszeniert hat.
Während die TV-Serie von Justus Pfaue in die damalige Jetztzeit adaptiert wurde, hielt sich Alexander Adolph beim Kinofilm an die Welt der literarischen Vorgabe von James Krüss, die vor ca. 100 Jahren angesiedelt ist. Timm Thaler lebt in ärmlichen Verhältnissen, doch er lacht gern und viel. Sein Lachen ist so bezaubernd und ansteckend, dass der dämonische Baron Lefuet es um jeden Preis besitzen will.
Und so macht der reichste Mann der Welt dem Jungen ein unmoralisches Angebot: Wenn Timm ihm sein Lachen verkauft, wird er in Zukunft jede Wette gewinnen. Nach anfänglichem Zögern unterschreibt Timm den Vertrag. Jetzt kann er sich scheinbar jeden Wunsch erfüllen, doch ohne sein Lachen ist er ein anderer Mensch. Nur noch Timms Freunde Ida und Kreschimir halten zu ihm. Gemeinsam wollen sie Timm aus den Fängen des Barons befreien und durch eine List sein markantes Lachen zurückgewinnen.
Es ist ein folgenreicher Pakt, den der Gelehrte Dr. Heinrich Faust mit Mephisto schließt: Er verspricht dem Teufel seine Seele, wenn dieser ihn von seiner Unzufriedenheit befreit und beruflich wie privat für frischen Wind sorgt. So schrieb es Johann Wolfgang von Goethe in „Faust. Eine Tragödie“ nieder. Wenige Jahre später verfasste der romantische Dichter Adelbert von Chamisso das Märchen „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Darin kauft der Teufel den Schatten eines Mannes und gibt ihm ein Goldsäckel, das niemals versiegt.
Peter Schlemihl geht darauf ein – und wird von der Gesellschaft ausgestoßen, weil alle den Mann ohne Schatten fürchten. James Krüss (1926-1997) adaptierte die Geschichte 1962 in seinem Buch „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ und verwies darin ausdrücklich auf „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Der Autor machte einen 13 Jahre alten Jungen zum tragischen Helden des Romans und wählte dessen Lachen als immaterielle Handelsware. Der reiche Baron Lefuet, rückwärts gelesen „Teufel“, will sich mit Timm Thalers ansteckendem Lachen schmücken und gibt dem Jungen im Gegenzug die Fähigkeit, jede Wette zu gewinnen. Schnell muss Timm Thaler einsehen, dass sein Lachen nicht so entbehrlich ist, wie er es zunächst glaubte, und dass Geld und Macht ihn nicht glücklich machen.
Der Roman erschien 1965, drei Jahre nach seiner Premiere, auch im Kinderbuchverlag der DDR. Die Stasi empfand den West-Autor James Krüss und sein konsumkritisches Buch nicht als Bedrohung. In seiner Akte wurde Krüss als „fortschrittlicher Mensch“ geführt, der ein „unorganisierter Kommunist“ sein wolle. Seine Einstellung sei jedoch „nicht unbedingt fest und überzeugt“.
Regisseur Andreas Dresen, geboren 1963 in Gera als Sohn eines Theaterregisseurs und einer Schauspielerin, war knapp zehn Jahre alt, als er „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ zum ersten Mal las. »Das war eine kleine, billig gedruckte Taschenbuchausgabe ohne Illustrationen«, erinnert er sich. »Ich habe den Roman verschlungen und nachts unter der Bettdecke heimlich weitergelesen, weil ich die Geschichte so spannend und auch gruselig fand.« Schon als Kind wunderte er sich, dass dieser Stoff nicht als Grundlage für einen Kinofilm verwendet wurde. »Ich hätte mir aber damals nie träumen lassen, dass ich das mal selbst machen würde.«
»Ich habe erst die Fernsehserie gesehen und dann das Buch gelesen«, sagt Produzent Oliver Berben. »Die Grundidee erkannte ich wieder, aber die Serie hatte die Figuren in eine ganz andere Welt versetzt.« Denn der Timm Thaler aus dem Roman war kein Skateboard fahrender Schüler aus Hamburg, sondern lebte in den 1920er Jahren in einer mitteldeutschen Großstadt. Nach seinem Pakt mit dem Teufel heuert der Waisenjunge im Roman als Steward auf einem Passagierschiff an und macht sich auf eine lange Reise, um den Teufel zu finden. Von seinem 10. bis 16. Lebensjahr muss er im Buch auf sein Lachen verzichten.
Ganz so viel Zeit nimmt sich der Film nicht und das Passagierschiff wird gegen ein Hotel ausgetauscht. Andreas Dresen, der als Spezialist für preisgekrönte Sozialdramen gilt, kokettiert mit seinem Ruf in der Branche: »Vielleicht hatten ein paar Leute Sorge, ich würde aus Timm Thaler ein düsteres Handkamera-Stück machen. Mein Ziel war es aber immer, einen großen, opulenten Märchenfilm zu drehen, was allerdings keineswegs bedeutet, dass der Film sich nicht den Problemen unserer Welt stellt.«
Der Film spielt in einer Zeit, die optisch von den 1920er Jahren inspiriert ist, ohne sich dabei auf das Jahrzehnt im historischen Sinne festzulegen. »Weil der Teufel durch Zeit und Raum reisen kann, geht auch der Film ab einem bestimmten Punkt ins Märchenhafte und greift moderne Elemente auf«, sagt Andreas Dresen. Er wertet es als „klugen Schachzug“, dass Alexander Adolph in seinem Drehbuch auf Timm Thalers große Reise durch viele Länder verzichtet und die ganze Welt auf eine einzige Stadt reduziert hat: »Es gibt die Armengasse, in der Timm Thaler wohnt, und das luxuriöse Grand Hotel als Ort der Sehnsucht«, erklärt der Regisseur. »Dazwischen gibt es die Pferderennbahn als Transformationsort, an dem der arme Mann zum reichen Mann werden kann oder umgekehrt. Und über allem thront die fantastische Residenz und Machtzentrale des Barons.«
Arved Friese, der zuvor unter anderem Matthias Schweighöfers Filmsohn in dessen Komödie Der Nanny gespielt hatte, beschreibt Timm Thaler als »aufgeschlossenen und fröhlichen Jungen«, dessen Leben sich nach dem Tod seines Vaters und der Begegnung mit dem Baron grundlegend ändert. »Er merkt schnell, dass man ohne sein Lachen im Leben nicht weit kommen kann und dass die Fähigkeit, jede Wette zu gewinnen, kein gleichwertiger Ersatz ist«, erzählt der Teenager. Den Baron empfindet der junge Schauspieler als »übernatürliches Wesen, das den Menschen nur Böses will und davon überzeugt ist, mit seinem Geld alles und jeden kaufen zu können.«
»Justus von Dohnányi war der einzige Schauspieler, den ich für die Rolle gecastet habe«, sagt Regisseur Andreas Dresen. Auch Produzent Oliver Berben nennt Justus von Dohnányi seine Traumbesetzung: »Er kann bedrohlich und furchteinflößend wirken, hat aber auch einen unverwüstlichen Humor. Diese gegensätzlichen Eigenschaften sind wichtig für den Teufel, weil er im Film nicht nur für das Böse stehen soll, sondern auch eine Tragik in sich birgt. Er versucht verzweifelt, Menschlichkeit zu erlangen.«
Als Chauffeure der Limousine verdingen sich die Helfer des Teufels: Behemoth und Belial, gespielt von Axel Prahl und Andreas Schmidt, die schon mehrfach unter der Regie von Andreas Dresen gedreht haben. »Behemoth und Belial sind eigentlich zwei biblische Gestalten. In unserem Film heißen so die beiden Assistenten des Barons Lefuet, die mit ihrer tollpatschigen Liebenswürdigkeit immer wieder für Wirbel sorgen und uns somit sehr unterhaltsam durch den gesamten Film begleiten«, sagt Axel Prahl.
Andreas Schmidt ergänzt: »Sie sollen im Auftrag des Teufels den kleinen Timm beschatten und Protokolle schreiben, was er gerade macht und was ihm gefährlich werden könnte. Richtig talentiert sind sie für diese Arbeit aber nicht. Behemoth hat immer Hunger und Belial zeigt zu viel Herz für den Jungen.« Während Behemoth als Privatdetektiv aus den 70er Jahren konzipiert ist, musste Andreas Schmidt jeden Morgen deutlich mehr Zeit in der Garderobe und in der Maske verbringen als sein Filmpartner, denn Belial ist eine elegante Dame. »Eine Frau zu spielen, noch dazu die Partnerin von Axel Prahl, ist natürlich ein Traum für jeden Schauspieler«, sagt der Schauspieler und lacht.
Kostümbildnerin Sabine Greunig bescheinigt dem großgewachsenen Schauspieler eine »große Grandezza« und stattete ihn mit Chanel-Kostümchen und Perlenketten aus. Die Stöckelschuhe in Größe 45 waren Spezialanfertigungen vom orthopädischen Schuhmacher. »Erst jetzt weiß ich, welche Opfer viele Frauen bringen müssen, um schick zu sein«, sagt Andreas Schmidt. »Dämonen sind nicht zwangsläufig männlich oder weiblich«, erklärt Oliver Berben die Idee hinter der femininen Seite von Belial, die obendrein nur Koptisch spricht.
Drehbuchautor Alexander Adolph ging noch einen Schritt weiter: Der Teufel verwandelt Behemoth und Belial in Ratten, die aber weiterhin sprechen können und wiedererkennbare Accessoires wie Hut und Handtasche tragen. Für Regisseur Andreas Dresen war die Arbeit mit den Animatoren eine neue Erfahrung: »Ich habe noch nie mit Trickfilmelementen gearbeitet und war sehr skeptisch, wie das wohl aussehen würde. Jetzt bin ich mit dem Ergebnis sehr glücklich. Was die Firma Trixter aus München geschaffen hat, kann sich mit jeder internationalen Produktion messen.«
Dies war dann auch der endgültige Beweis, dass der Kinofilm auch für kleine Kinder gemacht wurde und sich dadurch mit den hinzugedichteten drolligen Begleitern in Disney-Familienfilm-Gefilde abdriftet. Auch die Handlung mit der Stiefmutter und ihrem aggressiven Rüpelsohn erinnert doch stark an „Aschenputtel“. Doch so ganz scheint der Film nicht zu zünden, zumindest bei mir nicht. Es scheint, als hatte Herr Dresen versucht, die Zuschauerpalette so breit wie möglich zu halten. Auch wenn Justus von Dohnányi hin und wieder den bedrohlichen Teufel herauskehrt, so bleibt die Figur etwas inkonsequent, manchmal etwas zu klamaukisch, genauso wie die Assistenten.
Und dann sind da noch die „Erwachsenengeschichten“ - Timms tragischer Familienverlust und die Romanze zwischen Barkeeper Kreschimir und Hausdame Yvonne, die fürs ganz junge Publikum nicht so wirklich geeignet ist. Technisch gesehen hat Andreas Dresen ganze Arbeit geleistet und einen unterhaltsamen Film abgeliefert, doch hätte er sich lieber für ein Zielpublikum entscheiden sollen - entweder ein reiner Kinderfilm oder, wie die Serie, etwas ernster und düsterer gestalten sollen. Aber immerhin durfte der Serien-Timm Thomas „Tommy“ Ohrner eine kleine Rolle übernehmen.
Dass der Verleih die Werbetrommel hauptsächlich um die Stars und die Titelfigur gedreht hat, stößt mir besonders bitter auf, da ja eigentlich die Freundschaft Timms zur Bäcker-Tochter Ida ein Hauptangelpunkt ist und die Rolle der Klumpfuß-Ida bzw. ihrer Schauspielerin Jule Hermann nirgendwo (besonders) erwähnt wird. Filmmutter Fritzi Haberlandt freute sich über das Wiedersehen mit Jule Hermann: »Einige Monate vorher habe ich mit ihr Nebel im August gedreht und fand es schön, jetzt ihre Filmmutter sein zu dürfen. Jule ist ganz süß, aber auch sehr professionell.«
In kleinen Rollen sind auch noch andere bekannte Gesichter zu sehen - der ehemalige TV-Talker Harald Schmidt kommentiert das Geschehen auf der Rennbahn, Heinz Rudolf Kunze kann sich als Schuldirektor über Timms ansteckendes Lachen aufregen und Milan Peschel spielt den Redner am Grab von Timms Vater, der von Tatortreiniger und Stromberg-Trotzkopf „Ernie“ Bjarne Mädel mitfühlend sympathisch gemimt wird. Timm Thaler oder das verkaufte Lachen ist eine nicht ganz so fett wie gewünscht gelungene Adaption des „Faust“ für Kinder, die jedoch seine Reize hat. ■ mz