„Mittendrin statt nur dabei“ lautet das Thema des Äktschnkrachers von Ilja Naischuller: Fast ausschließlich mit GoPro-Kameras und handgefertigter Ausrüstung gefilmt, wendet sich Hardcore vom traditionellen Filmemachen ab. Ersetzt wird es durch eine rohe und unmittelbare Erfahrung, die es dem Publikum erlaubt, Eins mit dem Protagonisten zu werden, und so mit Henry auf eine sehr persönliche und atemberaubende Reise zu gehen.

Der Zuschauende begibt sich gleich nach dem Vorspann (in dem es zu „Let me down easy“ von den Stranglers schon mal einen Vorgeschmack bekommt, auf wieviele Arten man in dem Film sterben kann) in einen Raum, desorientiert, weil plötzlich zwei Bilder nebeneinander zu sehen sind, eines davon auch noch verdreht. Kurze Zeit später wird einem klar: Das sind die Augen, die noch nachjustiert werden müssen! Eben noch auf der Schwelle zwischen Leben und Tod, findet sich Protagonist Henry im nächsten Moment als kybernetisch aufgemotzte Kampfmaschine wieder, auf der Suche nach der eigenen Identität und den Entführern seiner Frau Estelle.

Je suis Henry. Ab sofort ist man selbst die Hauptfigur, zumindest was die Kameraführung angeht. Wir erleben die Geschichte auf der Leinwand durch die Augen der Hauptfigur Henry, Bildgewackel inklusive - was eigentlich unsinnig bzw. unlogisch ist, denn jedes Gehirn hat einen Bildstabilisator! Aber trotzdem hält sich das Gewackel geradeso im Erträglichen, zwischendurch gespickt mit Erinnerungen an Henrys Jugend, in der er gehänselt wurde.

»You are half machine, half pussy!«

Was folgt ist eine Actiontortur, eine Flucht nach vorn und gegen die Zeit, ähnlich wie bei Crank. Henry bekommt Hilfe von dem mysteriösen Jimmy, der ihm unterwegs mit Fluchtfahrzeugen oder -plänen hilft und dabei das Zeitliche segnet. Doch kurze Zeit später taucht er wieder auf, um alle zu verwirren, um auch dann wieder ins Gras zu beißen. Zunächst ist man wie Henry verwirrt, doch später im Film wird man darüber gottseidank aufgeklärt.

Dafür bekommt man jedoch keine Erklärung für die telekinesischen Fähigkeiten des Bösewichts Akan, weder ob sie angeboren oder kybernetisch umgesetzt wurden, auch nicht, wo Henry anfangs aufgewacht ist. War das ein Luftschiff wie bei Marvels SHIELD? Über den Wolken ist die Fantasie offenbar grenzenlos. Unten, im Moskau der Zukunft, scheint jedoch alles beim Alten zu sein. Es lässt sich kaum etwas Modernes finden!

Es wird auch sonst nicht allzu viel erklärt in dem Film, der wirkt, als würde man einem Spieler beim Ego-Shooter-Spielen zusehen. Doch letzteres kann durchaus spannender sein als dieser Film. Hardcore zieht seine Spannung aus dem Adrenalin, das bei all den Parkour-Kletter-Spring-und-Laufszenen ausgeschüttet wird. Ansonsten wäre der Film schnell langweilig geworden. Immerhin brauchte Naischuller ganze 13 Akteure bzw. Stuntmänner für „Henry“!

Doch trotz all der abgefahrenen Action fehlt dem Film die Erklärung. Ausgangspunkt für Naischullers Projekt war das Musikvideo für einen Song seiner Band Biting Elbows. Der 5-minütige Clip zu „Bad Motherfucker“ zählt mittlerweile 33 Millionen Klicks bei YouTube und erzählt die rasante Geschichte eines namenlosen Protagonisten, der sich seinen Weg in die Freiheit bahnen muss. Vielleicht hätte er es dabei belassen sollen. Einzig Sharlto Copley als Jimmy besitzt ein wenig Tiefgang, der den Film nicht ganz so sinnfrei aussehen lässt. ■ mz