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Interview mit Julie Delpy


© NFP/The Film

Der Überlieferung nach soll ihr erstes Wort als Kind angeblich „morte“ gewesen sein - und das, wo Julie Delpys Eltern, die Schauspieler Albert Delpy und Marie Pillet, doch so gern Komödien spielen! Sie absolvierte ein Regiestudium an der Filmhochschule in New York und lebt seit 1992 in Los Angeles. Eine erste kleinere Rolle erhielt sie in Jean-Luc Godards Film Détective 1985. Ihre erste große Hauptrolle spielte sie 1987 in Bertrand Taverniers Film Die Passion der Beatrice. Mit dem in Deutschland sehr erfolgreichen Film Hitlerjunge Salomon von Agnieszka Holland, in dem sie die weibliche Hauptrolle spielte, begann ihre internationale Karriere.

Danach spielte sie unter Regisseuren wie Volker Schlöndorff in Homo Faber und Krzysztof Kieślowski in Drei Farben: Weiß. In dem Disney-Film Die drei Musketiere von 1993 war sie in einer Nebenrolle zu sehen. Außerdem spielte sie 1997 in dem Film American Werewolf in Paris die zweite Hauptrolle der Serafine Pigot. Ihren großen Durchbruch erlangte sie 1995 mit Regisseur Richard Linklater und ihrem Schauspielkollegen Ethan Hawke in Before Sunrise - eine Liebesgeschichte, die 2004 in Before Sunset und schließlich 2013 in Before Midnight fortgeführt wurde.

2001 spielte sie in sieben Folgen der US-Erfolgsserie Emergency Room – Die Notaufnahme die Freundin von Dr. Kovac. Im Herbst 2003 erschien eine CD mit elf Chansons in englischer und französischer Sprache, auf der sie sich selbst auf der Gitarre begleitet. In 2 Tage in Paris (2007) und 2 Tage in New York (2012) parodierte sie die kulturellen Unterschiede zwischen Amerikanern und Franzosen. Sie möge das Konzept von den ungezogenen Franzosen sehr, begründete Delpy ihre anhaltende Auseinandersetzung mit dem Thema.

2009 präsentierte sie mit Die Gräfin ihre Verfilmung des Lebens der ungarischen „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory. Zuletzt hatte sie in Marvels ►Avengers: Age of Ultron einen kurzen Auftritt als Madame B und spielte in der Hund-Unterwegs-Komödie Wiener-Dog neben Greta Gerwig, Kieran Culkin und Danny DeVito. Derzeit steht sie in der Dramödie The Bachelors mit Odeya Rush und J.K. Simmons vor der Kamera, die nächstes Jahr ins Kino kommen soll.

Julie Delpy ist Workaholic, eine Perfektionistin und ein echtes Multitalent. Zahlreicher als ihre Fähigkeiten sind nur ihre Neurosen. Trotz ihrer Kurzsichtigkeit und des Mangels an räumlichem Sehen, gelingt es der Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin immer wieder, ihren Geschichten genügend Tiefe zu geben. Privat lebt sie in Los Angeles und ist seit 2001 auch amerikanische Staatsbürgerin. Von 2004 bis 2013 war sie mit dem deutschen Filmkomponisten Marc Streitenfeld liiert, mit dem sie 2009 den kleinen Leo zur Welt brachte.

| Lolo - Drei ist einer zu viel | Interview mit Dany Boon | Teilen

Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Film gekommen?

Das Ganze entstand aus den Witzeleien, die meine Koautorin Eugénie Grandval und ich über das Verhältnis zu meinem Sohn machten. Er ist jetzt sechs Jahre alt (ich nenne ihn den „kleinen Kaiser“) und wir fragten uns, wie das wohl in fünfzehn Jahren so mit ihm sein wird. Aus dieser Idee und einer weiteren über ein ungleiches Paar (Provinztyp und Fashionlady), deren Beziehung durch die Anwesenheit des Sohnes gestört wird, fing alles an. Es war zunächst nur eine einfache Storyline mit witzigen Figuren, Situationen und Dialogen.

An erwachsene Bumerang-Kinder in Kinofilmen hat sich das Publikum bereits gewöhnt. Auch Lolo ist so eine Art...

Ohne allzu viel zu verraten, darf man wohl behaupten, dass Lolo teuflisch manipulativ ist. Mir hat es immer schon Spaß bereitet, neurotische Figuren darzustellen. Und ich genieße es ebenso, psychotische Figuren zu filmen. Ich weiß, dass viele Leute so sind. Und im richtigen Leben finde ich sie auch alles andere als lustig. Aber auf der Leinwand haben sie etwas an sich, das mich zum Lachen bringt.

Violette ist eine beruflich sehr erfolgreiche Frau in den Vierzigern, in deren Privatleben zu Beginn des Films völliger Stillstand herrscht...

Sogar ihre beste Freundin, gespielt von Karin Viard, sagt Violette auf den Kopf zu: „Du bist so gut im Job, aber eine solche Versagerin, wenn es um deine persönlichen Beziehungen geht.“ Eine tolle Wohnung zu haben, bedeutet nicht, glücklich zu sein. Sie verpasst etwas, weil sie sich noch immer um ihren Sohn kümmert. Dabei war er noch nie wahnsinnig nett zu ihr. Aber sie kocht ihm dennoch wachsweiche Eier und schmiert Butter auf sein Toast. Übrigens erinnern in Anlehnung an Freud die beiden Eier im Doppelbecher nicht umsonst an ein Paar Brüste.

Violette und Ariane reden reichlich unverblümt über Sex. Woher kommt diese Art von Grobheit, die man selten in französischen Filmen sieht?

Von der Erziehung meiner Eltern! Ich bin mit satirischen Magazinen wie „Charlie Hebdo“ und „Hara Kiri“ aufgewachsen und habe schon mit sechs Jahren Jean-Marc Reisers Erwachsenen-Comic „Gros Dégueulasse“ gelesen. Der war zwar trashig und anzüglich, aber eben auch klug und witzig – und niemals vulgär. Auch mein Schreibstil ist sehr offen und direkt, ohne vulgär zu werden. Wir leben in Zeiten, in denen man zunehmend an Codes oder politische Korrektheit gebunden ist. Das macht die Menschheit aber nicht besser. Fürchtet man Vorschriften zu sehr, dann kommt der Faschismus wieder in Mode.

Als sich Violette an Jean-René ranschmeißt, verliebt sie sich tatsächlich und unerwartet. Ist das typisch für diese Generation?

Mich hat interessiert zu zeigen, dass man Liebe nicht immer dort findet, wo man sie erwartet. Viele Leute suchen ja nach jemandem, der so ist wie sie selbst. In Bezug auf ihre Generation wollte ich zeigen, dass Leute, die sich im Alter von Violette und Jean-René verlieben, ein wenig weiser sind. Wenn man die Vierzig erreicht hat und mit sich selbst im Reinen ist, dann würdigt man es, einer schönen Seele zu begegnen. Man vögelt nicht mehr in der Gegend herum. Man ist weniger leidenschaftlich, aber bodenständiger. Das ist gesünder.

Violette ist Pariser Artdirektorin für Modenschauen und Jean-René Kleinstadt-Informatiker. Sie beleuchten die Hintergründe von beiden Figuren sehr kritisch...

Die Modewelt zu zeigen, hat mir schon Spaß bereitet, weil ich sie ein wenig kenne, mit Designern wie Alexandre de Betak und Vanessa Seward befreundet bin. Das hat geholfen. Mir hat es Spaß bereitet, die schräge Dimension des Ganzen zu zeigen, wie zum Beispiel die snobistische Auktion in der U-Bahn. Bei Jean-René liebe ich die Szene beim Pariser Arzt, der Jean-René erzählt, er leide unter Juckreiz, weil er vom Land ist. Für einen Pariser liegt selbst Biarritz am Ar... der Welt.

Trotzdem machen Sie Jean-René nie zum Deppen...

Er ist naiv, aber kein Narr. Er ist umgeben von gemeinen Menschen. Das macht ihn zur lustigen Figur, aber man fühlt mit ihm. Er liebt Violette und wünscht sich, deren Sohn würde ihn ebenfalls mögen. Das ist vielleicht unschuldig und freundlich, aber macht ihn nicht zum Narren. Er nimmt alles immer für bare Münze. Ich war ähnlich gestrickt, als ich neu in der Filmindustrie war. Ich traf wunderbare Menschen, aber auch solche, die vorgaben mich zu mögen und dann hinter meinem Rücken agierten.

Warum ist Lolo zu Jean-René ebenso schrecklich wie zu seiner Mutter?

Weil Jean-René für ihn der böse schwarze Wolf ist, der gerade seine Mutter verschlingen will. Lolo kommt als cooler Künstler rüber, aber er ist im Grunde noch sehr kindisch, hat nie Mamas Rockzipfel verlassen. Er ist ein echter Perverser, nicht nur, weil er so geboren wurde, sondern auch weil sie ihn schlecht erzogen hat. Und das wird Violette schließlich auch klar.

Warum drehen sich Ihre Filme oft um Paare, die sich trotz Missverständnissen entwickeln und aneinander wachsen?

Weil das, was uns nicht umbringt, uns eben stärker macht. Ich bin von dieser Vorstellung ziemlich besessen. Mich haben schon viele Leute zerstört, aber ich habe es immer überstanden und bin dadurch stärker geworden. Letztendlich ist das doch typisch für alles Lebendige: Zellen werden laufend zerstört und ersetzt... Bis der Krebs zuschlägt.

Wie sind sie zu Ihrer Besetzung gekommen?

Lolo selbst habe ich für Vincent Lacoste geschrieben! Wir haben schon vor fünf Jahren an Familientreffen mit Hindernissen zusammen gearbeitet. Vincent war damals erst siebzehn und ich war hin und weg von seinem Talent, seiner Zielstrebigkeit und seiner entspannten Einstellung. Er musste damals zehn Takes wiederholen, in denen er Kindern in einem Zelt eine Story erzählen und sie dabei in Angst versetzen sollte. Er hat nicht einen einzigen versaut. Mit solchen Menschen arbeite ich gerne zusammen.

Dany schwebte mir ebenfalls gleich als Jean-René vor. Er hat sich Kindlichkeit und Naivität bewahrt. Und drei Tage, nachdem er das Drehbuch hatte, hat er bereits zugesagt. Und Karin kenne ich schon lange, sie hat auch mit meiner Mutter zusammen gearbeitet. Als ich ihr ankündigte: »Ich schreibe eine Rolle für dich, aber es ist eine Nebenrolle«, war sie ein wenig enttäuscht. Aber dann fand sie die Dialoge so witzig, dass sie gar nicht mehr enttäuscht war.

Auch Karl Lagerfeld tritt auf, ebenso wie Frédéric Beigbeder, der in Ihrem Film baskische Kochkurse im Fernsehen leitet. Wie bekommen Sie solche Promis in Ihre Filme?

Frédéric, der übrigens nicht mal eine Paprika schneiden, geschweige denn kochen kann, freute sich, mitzuspielen. Und Freunde von mir, die bei Chanel arbeiten, halfen mir, Karl Lagerfeld zu überzeugen. Seine Teilnahme war so wichtig, weil er der ultimative Designer ist - eine wahre Ikone.

Und warum spielen Sie die Hauptrolle selbst?

Sonst hätte ich diesen Film nicht zustande gebracht. Dass ich spiele, hat den Ton und die Dynamik festgelegt. Mir ist schon bei 2 Tage Paris und 2 Tage New York am Set klar geworden, dass ich die treibende Kraft bin. Ich sitze aber auch gerne nur im Regiestuhl und genieße es.

Sie arbeiten zum ersten Mal mit Kameramann Thierry Arbogast und mit einem Komponisten zusammen. Sonst haben Sie die Scores zu Ihren Filmen immer selbst geschrieben...?

Mein Produzent Michael Gentile war der Auffassung, dass Thierrys Kameraarbeit dem Film einen frischen Look geben würde, der im Kontrast zu meinen vorherigen Filmen stand. Und die Musik habe ich nur deshalb immer selbst geschrieben, weil ich keinen Komponisten fand, mit dem ich hätte arbeiten wollen, und der auch mit mir hätte arbeiten wollen! Mathieu Lamboley hat wunderbare Arbeit geleistet. Er ist ein sehr junger Komponist, der einem genau zuhört. Er verstand auf Anhieb, was ich von ihm wollte.

Sie werden oft mit Woody Allen verglichen...

Ich liebe Woody Allen! Wir haben etliche Neurosen gemeinsam – unsere Besessenheit mit dem Tod und Sex und auch unsere Art kreativer Bulimie. Ich bin aber unglücklicherweise eine Frau und bekomme meine Projekte oft nicht finanziert, denn in den USA zahlt man auch heute noch einen Preis dafür, eine Frau zu sein. Man darf als Frau zum Beispiel Romantikkomödien drehen, aber bitte keine Kriegskomödien. Kathryn Bigelow gehört zu den wenigen Regisseurinnen, die einen Film über den Irak-Krieg drehen können. Da musste sie aber 40 Jahre für kämpfen. Frankreich ist da wesentlich fortschrittlicher.

Warum zieht es sie, wie Woody Allen, mehr zu Komödien als zu Dramen?

Weil es mein Lieblingsgenre ist, aber ich drehe auch gerne Dramen. Die Gräfin war ja auch ein Drama, auch wenn Humor darin steckte. Mein nächstes Projekt wird auch ein Drama, ein sehr intimes. Danach kommt ein ambitioniertes Projekt zu den Abenteuern des amerikanischen Kinos. Und dazwischen entwickele ich noch eine Serie über Frauen in den Vierzigern – eine Comedyserie. ■ mz | Quelle: NFP

Komödie
F 2015
100 min



mit
Julie Delpy (Violette) Ulrike Stürzbecher
Dany Boon (Jean-René Graves) Olaf Reichmann
Vincent Lacoste (Eloi „Lolo“)
Karin Viard (Ariane)
Antoine Lounguine (Lulu)
Christophe Vandevelde (Gérard)
Elise Larnicol (Élisabeth)
Christophe Canard (Patrick)
Karl Lagerfeld (Karl Lagerfeld)
Frédéric Beigbeder (Koch)
Albert Delpy (Besucher im Centre Pompidou)
u.a.

drehbuch
Julie Delpy
Eugénie Grandval

musik
Mathieu Lamboley

kamera
Thierry Arbogast

regie
Julie Delpy

produktion
The Film
France 2 Cinéma
Mars Films
Tempête sous un Crâne
Sofica Manon 5
Cinémage 9
La Banque Postale Image 8
Apidev 4
France Télévisions
Canal+
Ciné+
D8
Poisson Rouge Pictures

verleih
NFP

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