Kinostarts Februar 2015
Sex, Drogen und Rock'n'Roll. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs und der Verwirrung - am Ende einer schließenden Klammer. Thomas Pynchon, Autor des Romans, der hier verfilmt wurde, bezeichnete die 60er Jahre als „eine kleine Umklammerung des Lichts“ - ein Licht, das den Film, wie auch dessen Hauptfigur Doc Sportello, bezaubert.
Es war die Zeit, in der Kennedy erschossen wurde, Nixon an die Macht kam, in der der Traum vom „Zurück zur Natur“-Kalifornien von Häuslebauern vernichtet wurde und die friedliebende, selbst züchtende Drogenszene von expandierenden Drogenkartellen unterwandert wurde. Irrenhäuser wurden zu „Erholungscentern“ umfunktioniert, politischer Aktivismus wurde von Nixons verdecktem Spionagenetzwerk entwurzelt, selbst im Fernsehen dominierten Polizeiserien statt Komödien. Friede, Freude und Eierkuchen wurden von Gier, Überwachung und Dunkeltuten verdrängt.
Pynchon schreibt in seinem Roman von Doc, wie er die Zeichen dieser Veränderung überall erkennt, wo er auch in Los Angeles hin geht. Seine Paranoia mag durch seinen Marihuana-Genuss verstärkt sein, doch er entdeckt auch immer wieder Anzeichen dieser Veränderungen. Inmitten all der Witze und sexuellen Leichtheit von „Inherent Vice“ stellt auch Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson in seiner Adaption die Frage, wie diese Urkräfte, so spürbar, wie sie zu Beginn der 70er Jahre waren, zu den alltäglichen Wegweisern unserer eigenen Zeit geworden sind.
Thomas Pynchons Werke verzichteten auf Überblick. Sie waren geschichtlich und wissenschaftlich, doch trotzdem traumartig und gespickt mit verdeckten Bedeutungen. Kriminalautor Ian Rankin bezeichnete einst prägnant Pynchon als Lieferanten von Literatur »als erweiterten Code oder Gralsuche. Darüber hinaus war er wie eine Droge: Hat man erst einmal die Bedeutung einer Ebene ausgeklügelt, will man ganz schnell zur nächsten übergehen.«
Vermutlich waren es auch diese Gesichtspunkte, die es bislang verhindert haben, seine Werke auf der Leinwand zu sehen. „Inherent Vice“ ist Pynchons erstes Werk, an das sich ein Regisseur gewagt hat - ein Regisseur, dem die 70er Jahre nicht fremd sind - Paul Thomas Anderson, der nun zwischen der Nachkriegszeit in The Master und dem Ende der 70er Jahre in Boogie Nights eine weitere Ära porträtiert.
Und was wären die 70er ohne Koteletten? Allein für diese kultige Gesichtsbehaarung müsste Hauptdarsteller Joaquin Phoenix ausgezeichnet werden! Nachdem Anderson Phoenix in The Master auf einen Selbstfindungstrip geschickt hatte, lässt er ihn nun als Privatdetektiv kiffend durch die Stadt der Engel wuseln. Sein Büro ist sein Heim, seine Auftraggeberin die Ex-Freundin, mit der er gerade Sex hatte.
Den ganzen Film über ist Doc auf der Suche, die von seinem Erzfeind „Bigfoot“ Bjornsen gestört wird, einem Polizeidetektiv, den eine Antipathie mit Doc verbindet, gespielt von Josh Brolin. »Bigfoot ist ein Arschloch, aber Josh fand einen Weg, ihn lustig und ein wenig traurig zu gestalten«, sagt Anderson. »Da gibt es eine nette Zeile im Roman, in der Bigfoot als „von Melancholie besessen“ bezeichnet. Er ist aber auch ein Arsch.«
Der Film besteht, wie die Beziehung zwischen Doc und Bigfoot, aus einer regelrechten Hassliebe. Man verfolgt die Handlung (oder versucht es zumindest), kommt aber nicht umhin, diese Ära in sich aufzusaugen. So lenkt Eines vom Anderen ab, dass man am Ende irgendwie nur die Hälfte mitbekommt, vermutlich um uns in Docs mentalen Zustand zu versetzen. Dabei spielt die Optik eine große Rolle, breit im blassen 70er-Look ins Licht gesetzt, ebenso wie der Soundtrack, der hauptsächlich unbekanntere Titel der Epoche aufspielt.
Inherent Vice ist recht lang und größtenteils ruhig. Es ist ein Film, der von der Handlung ebenso in Schlag genommen wird, wie von den skurrilen Figuren. In den Nebenrollen brillieren u.a. Jena Malone, Benicio del Toro, Reese Witherspoon, Owen Wilson und ein lange nicht gesehener Martin Short, der in seiner Extravaganz ein wenig an seinen Franck Eggelhoffer aus den Vater der Braut-Filmen erinnert. Vermutlich muss man den Film zweimal sehen, um ihn und die Handlungsebenen näher zu verstehen. Nackte Hippies und zugedröhnte Gags, abgefahrene Figuren und eine komplexe Handlung - all das zeigt der „innere Verderb“, den Paul Thomas Anderson uns da auftischt. ■ mz