Magic in the Moonlight
© 2014 Gravier Productions, Inc./Jack English
Der chinesische Hexenmeister Wei Ling Soo ist der berühmteste Zauberer seiner Zeit, doch nur wenige wissen, dass sich hinter diesem Künstlernamen der grantige, arrogante Engländer Stanley Crawford verbirgt („Autogramme sind für Schwachsinnige.“), den wir zu Beginn der Geschichte bei seiner Vorstellung in Berlin anno 1928 kennenlernen (nebst Gastauftritt von der singenden Ute Lemper).
Sein Jugendfreund und Zaubererkollege Howard Burkan, der Stanley nach der Show auflauert, bestätigt uns nicht nur, dass wieder ein Jahr um ist, als der letzte Woody-Allen-Film im Kino lief, er lädt auch seinen Freund nach Südfrankreich ein, um dort das junge Medium Sophie Baker zu begutachten, die mit ihrer Mutter bei der reichen amerikanischen Familie Catledge eingeladen ist, eine Séance zu halten.
Spirituelle Medien waren in den 1920er-Jahren der letzte Schrei, und in dieser Zeit ist Magic in the Moonlight angesiedelt. »Damals war das eine große Sache«, sagt Woody Allen. »Sehr berühmte Leute wie Arthur Conan Doyle nahmen das sehr ernst. Es gab alle möglichen Ereignisse wie Fotografien von Geistern, die die Leute zum Staunen brachten. Séancen waren durchaus üblich.«
Der größte Zauberer jener Ära war Harry Houdini. Er nahm an vielen Séancen teil und entlarvte jeden Wahrsager, dem er begegnete. Interessanterweise wurde Houdini nicht von dem Wunsch getrieben, Hochstapler zu enttarnen, sondern er suchte ganz ernsthaft nach Beweisen, dass eine Kommunikation mit den Toten möglich ist. Dass er derart viele Betrüger aufspürte, enttäuschte ihn selbst am meisten. Als er starb, hoffte er immer noch auf ein Leben nach dem Tod.
Auf den ersten Blick wirkt Stanley Crawford wie das genaue Gegenteil von Houdini: Der weltberühmte Magier tritt in der Verkleidung des chinesischen Zauberers Wei Ling Soo auf, lehnt aber die Möglichkeit des Lebens nach dem Tod strikt ab. »Er ist intelligent, rational, glaubt an die Wissenschaft. Deshalb geht ihm die Dummheit der leichtgläubigen Öffentlichkeit und ihre betrügerische Ausbeutung gewaltig auf die Nerven«, sagt Allen.
Colin Firth fügt hinzu: »Stanley ist anmaßend, voreingenommen, zynisch und arrogant. Außerdem ist er von seinem eigenen überragenden Intellekt äußerst überzeugt. Als Spezialist für die Kunst der Illusion ist er besonders skeptisch, wenn es um das Spirituelle, Mystische, Okkulte geht. Er ist stolz darauf, jene Leute bloßzustellen, die behaupten, es gäbe tatsächlich eine echte Magie in Prozeduren wie den Séancen.
Ich glaube, dass ich noch nie eine Hauptrolle gespielt habe, die so völlig unsympathisch wirkt. Deshalb werden die Zuschauer mit Inbrunst darauf warten, dass Stanley endlich eine Torte ins Gesicht geworfen bekommt. Weil er jedermann derart abschätzig behandelt, wünschen wir uns alle, dass er endlich einmal einen Schuss vor den Bug erhält.«
Sophie und ihre Mutter werden im Catledge-Chateau mit offenen Armen willkommen geheißen, weil die verzweifelte Mutter Grace unbedingt mit ihrem verstorbenen Ehemann Kontakt aufnehmen möchte. »Die naive Grace ist ein herzensguter Mensch«, sagt Jacki Weaver. »Sie behauptet: „Es muss doch noch mehr geben als das, was wir mit den eigenen Augen sehen können.“ Sie glaubt wirklich daran. Und sicher geht es vielen Menschen so.«
Weil Grace so verzweifelt ist und große Erwartungen in Sophie setzt, bildet sie für Ma Baker ein leichtes Ziel: Grace zahlt willig für eine „Stiftung“, die die Bakers gründen wollen. Dazu Macia Gay Harden: »Mit ihrem Charme wickelt Sophie jedermann um den Finger. Ihre Mutter ist nicht so charmant, eher gerissen. Doch weil Sophie ein so begabtes Medium ist, haben die beiden es weit gebracht.«
»Mrs. Baker ist eine sehr ehrgeizige Mutter, die sich durch die Karriere ihrer Tochter verwirklichen will. Sophie sichert das Einkommen. Diese Masche wird konsequent ausgenutzt, und so schlagen sie sich durch. Wenn die Mutter die Chance bekommt, eine größere Summe einzusacken, dann zögert sie keine Sekunde«, ergänzt Woody Allen.
Sophie ist aber nicht nur ein begnadetes Medium, sondern sie bezaubert auch jedermann mit ihrer unwiderstehlichen Persönlichkeit. Kein Wunder also, dass sich der liebenswerte Catledge-Sproß Brice (Hamish Linklater aus der Comedyserie The Crazy Ones mit Robin Williams und Sarah Michelle Gellar) Hals über Kopf in sie verliebt.
»Er möchte ihr die Welt zu Füßen legen, falls sie sich das wünscht«, sagt Linklater. »Dass sie ein Medium ist, interessiert ihn nicht, obwohl das auch Vorteile mit sich bringt, denn seine Mutter ist ja ebenfalls von ihr begeistert. Doch Brice liebt Sophie als Person – er träumt von einem gemeinsamen Leben.«
Zum Haushalt gehören auch Brices Schwester Caroline und ihr Ehemann, der Psychiater George. Die beiden glauben nicht an Sophie und sprechen deswegen Howard an, der ihr auf den Zahn fühlen soll. Als dieser dann mit Stanley dort auftaucht, kann der lustige Reigen beginnen, in dem, wie immer bei Woody Allen, viel gelabert wird.
Im Laufe des Films wird nicht nur Stanley allmählich auf die andere Seite seiner Meinung gezogen, auch sein Gegenüber, die ebenso leidenschaftlich impulsive Sophie fühlt sich von Stanleys Intellekt derart angezogen, dass sich beide immer mehr zueinander hingezogen fühlen.
Dazu Allen: »Weil er sehr belesen und fordernd ist, bringt Stanley Sophie in Kontakt mit Themen, denen sie sich sonst vielleicht nie ausgesetzt hätte. Er öffnet Türen und weckt ihr Interesse, sich mit einigen dieser Dinge zu beschäftigen.«
»Mir gefällt vor allem, wie Stanley, der erfolgreich Illusionen für die Augen eines großen Publikums kreiert, von Sophie in einen Menschen verwandelt wird, der jetzt an eine Welt glaubt, die er nicht sehen kann«, sagt Emma Stone.
Während Sophie Stanley immer mehr verwirrt, besuchen die beiden gemeinsam seine Tante Vanessa, die in der Nähe wohnt, denn Stanley weiß, dass sie die Menschen sehr präzise einzuschätzen versteht. Und in Vanessas Haus gibt Sophie das spektakulärste und unerklärlichste Beispiel ihrer hellseherischen Fähigkeiten.
Und hat sie erst einmal die Tante für sich gewonnen, folgt Stanley ihr auf Schritt und Tritt. Und Emma Stone weiß, ihre Reize einzusetzen, ganz besonders natürlich ihre großen Kulleraugen - wahrscheinlich die größten, die Hollywood derzeit zu bieten hat. Und wie aufreizend sie in Kostümen wirkt, konnten wir bereits in The Help und Gangster Squad begutachten.
»Es liegt in der menschlichen Natur, sich nach ein wenig Zauber im Leben zu sehnen«, sagt sie. »Und in unserem Film ist der Zauber die Liebe. Sie passiert einfach. Logisch gesehen macht sie vielleicht keinen Sinn, aber gerade das ist ja das Schöne und Zauberhafte an ihr.«
Ins rechte Licht gesetzt wurde das alles von Kameramann Darius Khondji, mit dem Allen bereits bei Midnight in Paris und To Rome with Love gearbeitet hatte. »Wir wollen in diesem Film eine helle, fröhliche Atmosphäre schaffen«, sagt Khondji. »Deswegen wird der Film optisch durch eine starke Farbpalette strukturiert. Ich ließ mich vor allem vom französischen Fotografen Jaques Henri Lartigue inspirieren.
Wir verwendeten alte CinemaScope-Objektive aus den 70er-Jahren und drehten auf Filmmaterial, wobei wir mit einem speziellen Verfahren den Kontrast milderten und die Bilder in natürlicher Weichzeichnung wirken lassen. Und dann half uns der Farbenberater Pascal Dangin dabei, den Bildern einen Touch der frühen „Autochrome“-Farbfototechnik vom Beginn des 20. Jahrhunderts zu geben.«
Somit ist der Film womöglich der leichteste und seichteste des Jahres. „Easy Viewing“ steht hier an erster Stelle. Man sieht sich den Film an, taucht in die bezaubernd romantische Atmosphäre Südfrankreichs ein und lässt sich gut unterhalten. Dass es dann doch ein Woody-Allen-Film ist, merkt man letztlich am ununterbrochenen Geschwafel Stanleys, das ein wenig nervt, spätestens wenn dieser auch noch stille Gebete laut ausspricht.
Aber immerhin ist Woody Allen im 21. Jahrhundert angekommen, denn inzwischen erlaubt er auch ein CinemaScope-Bildformat und DTS-Digitalton bei seinen Werken, was der Atmosphäre stets zuträglich ist. Geblieben ist jedoch seine Vorliebe für Jazz und seine berühmten simplen Vor- und Abspänne, damit man nach wie vor weiß, was man erwarten kann. ■ mz