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Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis


Lou Bloom ist bei der Jagd nach guten Bildern nicht zimperlich.
© Concorde

Dan Gilroy, bekannt für seine Drehbücher zu The Fall, Real Steel oder Das Bourne Vermächtnis, zeigt uns in seiner ersten Regiearbeit Jake Gyllenhaal in der Titelrolle als „Nightcrawler“ - das sind diejenigen, die nachts durch die Stadt streifen, damit wir am Morgen Bilder zu den Nachrichten sehen können.

Bewaffnet mit teuren Kameras jagen diese freiberuflichen Reporter allem hinterher, was sich den lokalen TV-Sendern verkaufen lässt: Autounfälle, Wohnhausbrände, Mord, Körperverletzung, Chaos, also alles, was menschliches Leid zeigt. Sie wissen, während sie von Polizeieinsatz zu Polizeieinsatz hetzen, dass jedes Verbrechen und jedes Opfer bares Geld bedeutet.

Jake Gyllenhaal spielt Lou Bloom, einen verschrobenen Typen (was sonst), dem Konsequenzen quasi egal sind, Hauptsache er macht das schnelle Geld. Sein Sinn für Gerechtigkeit und Anstand ordnet sich seiner Gier nach Mehr unter. »Lou verkörpert am Anfang der Geschichte die entfremdete, junge Generation mit düsteren Zukunftsaussichten. Statt Karriere und Vollzeitarbeit haben sie nur noch Praktika und Mindestlohn zu erwarten«, sagt Regisseur und Drehbuchautor Dan Gilroy.

Gilroy fragt sich also: »Welche Möglichkeiten und Aussichten auf Beschäftigung und Förderung bleiben ihnen in Zeiten globalisierter Niedriglöhne noch? Und genau aus diesem Gedanken ist Lou entstanden. Er lebt in einer Welt wachsender wirtschaftlicher Ungleichheit. Verschlossene Türen überall. Praktikanten, die als Vertragsknechte ausgenutzt werden – so sieht es für Lou und Millionen anderer auf dem Arbeitsmarkt aus.«

Louis Bloom ist ein ruhiger, aber eloquenter Einzelgänger, der sich mit kleinen Diebstählen mehr schlecht als recht über Wasser hält und sich vergeblich um anständige Jobs bemüht. »Lou ist jemand, der sich nicht verändert, sondern sich seine Umgebung so zurechtbiegt wie es ihm passt«, sagt der Filmemacher. »Mit ihm halte ich der Gesellschaft den Spiegel vor.«

Lous Aufstieg ins Reich der TV-Nachrichten ist eigentlich eine klassisch-amerikanische Erfolgsstory – allerdings mit einem düsteren Twist. »Er sucht nach einem Job und endet als Eigentümer eines wachsenden Unternehmens. Aber sein Happy End ist der Beginn des Alptraums für unsere Gesellschaft.« Gilroy sagt weiter, er will »die schreckliche Wahrheit aufzeigen, dass nicht Lou das eigentliche Grauen ist, sondern die Welt, die ihn geschaffen hat und für sein Handeln belohnt.«

Damit sich das Publikum trotzdem mit Lou identifizieren kann, musste Gilroy den menschlichen Kern der Figur finden – eine Gratwanderung, wie geschaffen für einen Charakterschauspieler wie Gyllenhaal, der den Film übrigens mitproduzierte. »Lous Bibel ist der Leitfaden für multinationale Unternehmen, den er sich heruntergeladen hat, und an den er fest glaubt«, erklärt Gilroy.

»Lou ist sehr aufmerksam, lernt permanent dazu und saugt alles für ihn Wichtige wie ein Schwamm auf. Das sind sehr menschliche Eigenschaften, genauso wie das grundlegende Bemühen, in der Welt voranzukommen und aufzusteigen. Seine Suche nach einem Job und einer Beziehung weckt unser Mitgefühl. Gerade weil er sehr einsam ist, macht ihn das menschlich.«

Eines Nachts beobachtet er zufällig, wie ein Kameramann namens Joe Loder kurz nach einem Verkehrsunfall die dramatische Rettung der Fahrerin filmt. Lou ist sofort fasziniert von dem Geschehen. Das ist seine Berufung! Von dem Erlös eines geklauten Rennrads kauft er sich einen Camcorder, einen Receiver, mit dem er den Polizeifunk abhören kann, und ist bereit für seinen ersten Einsatz als „Nightcrawler“.

Anfangs noch recht unbeholfen, lernt Lou schnell, wie er vor Ort an die besten Bilder kommt. Je drastischer die Aufnahmen sind, umso mehr Geld lässt sich damit verdienen. Als er einem lokalen TV-Sender die dramatischen Szenen einer Supermarktschießerei anbietet, lernt er die skrupellose Nachrichtenchefin Nina kennen, die von dem jungen Kameramann fasziniert ist und schnell merkt, dass Lou bereit ist, weiter zu gehen als seine Konkurrenten. Der kontaktarme, emotionslose Lou wiederum fühlt sich zu der doppelt so alten Frau nicht nur beruflich hingezogen.

»Nina mischt seit dreißig Jahren im blutigen Gewerbe der TV-Nachrichten mit, ist also ein alter Hase«, sagt Gilroy. »Sie ist jenseits der 50, eine aufgetakelte, abgebrühte Schönheit, die ihre Karriere seinerzeit vor der Kamera begann und nun, aus purem Überlebenswillen, so etwas wie die Puffmutter der Nachrichtenshows geworden ist.«

Gilroy zieht eine Parallele zwischen Nina und Lou: »Beide sind charakterlich komplett ausgeformt. Das Einzige, was sich bei Nina im Verlauf des Films ändert, ist, dass ihr Job am Ende wieder sicherer ist als am Anfang. Journalistisch wird Nina gemeinsam mit Lou zwar immer extremer und überschreitet immer fragwürdigere Grenzen, aber vorher war sie auch nicht gerade zimperlich. Am Ende des Films wird sie für ihre Skrupellosigkeit belohnt, genau wie Lou.«

Gilroy schrieb seiner Ehefrau Rene Russo die Rolle auf den Leib. »Ich wusste, sie ist die Richtige dafür«, sagt er. »Sie hat die unglaubliche Fähigkeit, gleichzeitig äußere Härte und innere Sensibilität zeigen zu können. Genau das zeichnet Nina aus.« Russo, die in den letzten Jahren entweder große Rollen in schlechten Filmen spielte oder umgekehrt, hatte in den 90er Jahren ein gutes Händchen für ihre Rollen, ob in In the Line of Fire mit Clint Eastwood oder in den letzten beiden Lethal-Weapon-Filmen mit Mel Gibson und Danny Glover oder auch in Schnappt Shorty mit John Travolta. Gilroy und Russo lernten sich bei dem SciFi-Thriller Freejack kennen, wo er das Drehbuch schrieb und Russo die weibliche Hauptrolle neben Mick Jagger und Emilio Estevez spielte.

Hinter Ninas glamouröser Fassade steckt jedoch eine Frau, die krampfhaft versucht, mit den Herausforderungen einer vernetzten Welt Schritt zu halten - eine Welt, in der man über das Smartphone rund um die Uhr mit Infotainment versorgt wird. Und weil sie von Internet und iPhone nicht viel versteht, gehört Nina längst zu einer bedrohten Spezies, sie ist drauf und dran, ein alter Medien-Dinosaurier zu werden.

Um trotzdem konkurrenzfähig zu bleiben, fordert sie gnadenlos immer härtere Aufnahmen von Lou und verschiebt ethische Bedenken bis zur Schmerzgrenze. Ninas Verzweiflung spiegelt sich in der Charakterisierung ihrer Nachrichtensendung wider: „Stell’ dir eine schreiende Frau vor, die eine Straße entlang rennt – mit durchschnittener Kehle.“

Bald laufen Lous Geschäfte so gut, dass er einen Mitarbeiter braucht. Seine Wahl fällt auf den wohnungs- und arbeitslosen Rick, gespielt von dem britischen Schauspieler mit pakistanischen Wurzeln Riz Ahmed. Lous Businessplan sieht jedoch nicht vor, Rick zu bezahlen. Er bietet dem verzweifelten jungen Mann ein Praktikum mit einer geringfügigen Aufwandsentschädigung an. Rick willigt ein und muss Lou fortan nachts auf dem schnellsten Weg zu den Tatorten in ganz Los Angeles dirigieren, bevor die Konkurrenz auftaucht.

Lou verzeiht keine Fehler und setzt Rick, der sich einen letzten Rest Anstand bewahrt hat, gnadenlos unter Druck. Auf der Jagd nach den spektakulärsten Aufnahmen ist Lou jedes Mittel recht. Moralische Bedenken kennt er nicht. Er dringt ohne Erlaubnis in Tatorte ein oder rückt Unfallopfer im wahrsten Sinne des Wortes ins rechte Licht, damit er sie möglichst spektakulär abfilmen kann.

Je schonungsloser die Bilder, desto besser das Honorar. Bereits nach kurzer Zeit ist Lou aufnahmetechnisch auf dem neuesten Stand und fährt einen knallroten Luxussportwagen. Das Angebot seines größten Konkurrenten Joe Loder, mit ihm ein Team zu bilden, lehnt Lou kaltschnäuzig ab. Seine Karriereplanung gerät jedoch ins Wanken, als Lou und Rick wegen eines Fehlers nicht rechtzeitig am Tatort eines Kleinflugzeugabsturzes mit mehreren Toten sind. Loder covert die Story, und Nina ist außer sich, dass Lou das Topthema des Tages nicht liefern kann. Daraufhin manipuliert Lou heimlich Loders Van und macht ihn, nachdem er verunglückt ist, so selbst zum abgefilmten, schwer verletzten Opfer...

Jake Gyllenhaal beschreibt Lou Bloom als Kojoten: »Er ist immer auf der Suche nach irgendwas. Er ist permanent hungrig nach mehr, und alles, was ihm dabei im Weg steht, wird gnadenlos zerstört. Er will Erfolg um jeden Preis.« Lou spricht unaufhörlich von der Macht der lokalen Fernsehnachrichten und ihr Verlangen nach schrecklichen Krimistories voller Mord und Totschlag. Laut Gilroy sind die Fakten eindeutig:

»Trotz sinkender Kriminalitätsraten erzeugen die lokalen Fernsehsender mit ihrer reißerischen Berichterstattung den Mythos, das Verbrechen würde unaufhörlich in die Vororte der Großstädte schwappen. Lokale TV-Stories stecken voller Warnungen. Verbrechen werden fälschlich miteinander in Beziehung gesetzt, um ein Horrorszenario einer ständig wachsenden, gefährlichen Bedrohung zu suggerieren. Alles nur, um aus Nachrichten ein Produkt zu machen, mit dem sich Werbung verkaufen lässt.«

Lou treibt dieses Vorgehen auf die Spitze, während er sich eifrig auf seinen neuen Job stürzt. Wie auch sonst im Leben bereitet er sich auf seine neue Aufgabe akribisch und penibel vor. Seine Gespräche sind gespickt mit Fakten, Selbsthilfetipps und Geschäftsratschlägen, die er aus dem Internet hat.

»Lou ist eine seltsame Kombination aus ursprünglichem und modernem gesellschaftlichen Verhalten«, sagt Gyllenhaal. »Er recherchiert stundenlang im Internet, um zu erfahren, wie es in der Welt zugeht, und übernimmt alles wortwörtlich. Die Informationen, die er dadurch bekommt, sind für ihn wie in Stein gemeißelt. Dabei legt er sie in seinem Sinne aus, so dass alles, was er sagt, einen wahren Kern enthält.«

Größtenteils wurde Nightcrawler zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens auf den Straßen von Los Angeles gedreht. Die Arbeitszeit war für alle Beteiligten zwar sehr anstrengend, aber der strapaziöse Drehplan inspirierte Jake Gyllenhaal auch.

»Ich glaube, das Unterbewusstsein wird aktiviert, wenn man nachts dreht«, sagt er. »Ich habe einfach weniger nachgedacht und meinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Ich bin überzeugt, dass sich alle Gefühle, die man dabei hat, und alles, was sich sonst noch während einer Produktion ereignet, tief in jedes einzelne Bild auf der Leinwand einschreibt.«

Die echten „Nightcrawler“ Austin und Howard Raishbrook bestätigen, dass Lou Bloom auf sie wie ein soziopathischer Nachrichtenjäger wirkt, der eine extreme Version ihrer eigenen Arbeitsweise verkörpert. Anders als Lou übertreten sie dabei fast nie Gesetze. »Wir missachten sicher auch mal Geschwindigkeitsbegrenzungen, um zu einem Tatort zu gelangen, aber das meiste, was Lou im Film sonst noch so treibt, würden wir niemals tun«, sagt Austin.

Aber was etwa die Arbeitsteilung zwischen Rick und Lou betrifft, sei Nightcrawler sehr dicht an der Realität. »Wir gehen genauso vor, wie die beiden: einer navigiert und achtet auf den Funk, der andere konzentriert sich aufs Fahren. Und ebenso wie Lou und Rick streiten wir uns dabei ständig.«

Aber im Gegensatz zu dem unheimlichen und abgebrüht gefühlskalten Lou, werden die Brüder immer wieder aufgewühlt von den Dingen, die sie erleben, beispielsweise als sie hilflos mit ansehen mussten, wie eine Frau in ihrem Wagen lebendig verbrannte. »Wir haben immer Feuerlöscher und Verbandskasten im Wagen für den Fall, dass wir noch helfen können«, sagt Austin. »Die Bilder werden zweitrangig, falls wir Erste Hilfe leisten können.«

Trotz der brisanten Darstellung erliegt Nightcrawler nicht der Versuchung, mit dem Finger auf andere zu zeigen. »Wir waren immer um Neutralität bemüht«, sagt Dan Gilroy. »Moralische Urteile gibt es bei uns nicht. Der Film wird hoffentlich unterschiedlich auf verschiedene Menschen wirken. Unser Ziel ist es, dass sich der Zuschauer teilweise auch in Lou und seiner Welt wiederfindet.«

Als Produzenten verpflichtete er seinen Bruder Tony Gilroy, der sich als Drehbuchautor und Regisseur des Oscar®-nominierten Thrillers Michael Clayton einen Namen gemacht hat. »Es war für mich natürlich sehr vorteilhaft, dass Tony den Film produziert hat«, sagt Dan Gilroy. »Er ist sehr erfahren und in einer Position, die es ihm erlaubt, sich in viele entscheidende Aspekte der Produktion einzumischen, bei allem, was wir taten oder wofür wir eine Erlaubnis brauchten.«

Weitere entscheidende Mitarbeiter waren für den Regisseur sein anderer Bruder, Cutter John Gilroy, und Kameramann Robert Elswit. »Ich hatte wirklich großes Glück, mit ihnen zusammenarbeiten zu können, mit Robert während der Produktion und mit John während der Postproduktion«, sagt der Regisseur.

Dan und John sind Zwillingsbrüder, die auch sehr eng zusammenarbeiten. »Im Schnittraum saßen nur John und ich«, so Dan Gilroy. »John hat ein ausgezeichnetes Auge und das Material jederzeit im Griff. Ich überließ ihm eine komplexe Sequenz und so wie er sie bearbeitete sieht man sie üblicherweise auch im fertigen Film.«

Durch diese familiäre Zusammenarbeit entstand schließlich ein atmosphärisch dichtes Kriminaldrama, das beim diesjährigen Filmfestival in Toronto (tiff) vielfach Beachtung fand und Kritikerlob einheimste - nicht zuletzt durch die intensive Darstellung durch Jake Gyllenhaal, der übrigens für seine Rolle extra 15 kg abnahm, um dementsprechend ausgehungert auszusehen.

Mit Nightcrawler hat sich Gyllenhaal mittlerweile nach Filmen wie End of Watch, Prisoners und Enemy als besonderer Charakterschauspieler etabliert und überlässt Hollywood-Flops anderen. Ob der Film bei der kommenden Oscar®-Verleihung berücksichtigt wird, wird sich zeigen - das notwendige Potenzial besitzt er jedenfalls.

Demnächst ist Gyllenhaal in David O. Russells Beziehungskomödie Nailed neben Jessica Biel und James Marsden zu sehen, sowie in Antoine Fuquas Drama Southpaw neben Rachel McAdams und Forest Whitaker und in Baltasar Kormákurs Bergsteigerabenteuer Everest neben Keira Knightley und Josh Brolin. ■ mz

15. November 2014
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OT: Nightcrawler
Drama/Thriller
USA 2013
117 min


mit

Jake Gyllenhaal (Louis Bloom) Marius Clarén
Rene Russo (Nina Romina) Traudel Haas
Riz Ahmed (Rick)
Bill Paxton (Joe Loder)
Eric Lange (Ace Kameramann)
Kevin Rahm (Frank Kruse)
Ann Cusack (Linda)
Carolyn Gilroy (Jenny)
u.a.

drehbuch
Dan Gilroy

musik
James Newton Howard

kamera
Robert Elswit

regie
Dan Gilroy

produktion
Bold Films

verleih
Concorde

Kinostart: 13. November 2014