Phoenix
© Christian Schulz/Piffl Medien
Christian Petzolds (Barbara, Jerichow, Yella) neuer Film Phoenix mit Nina Hoss und Ronald Zehrfeld (Der rote Kakadu, Barbara, Weissensee) als gut eingespieltes Liebespaar, feierte seine Premiere auf dem diesjährigen Internationalen Filmfest in Toronto (tiff).
Ein Identitätsdrama im Nachkriegsdeutschland: Nelly kehrt schwer verletzt und gesichtsentstellt als Auschwitz-Überlebende im Juni 1945 nach Berlin zurück. Lene, ihre Freundin aus Vorkriegszeiten, begleitet sie und versucht, ihr beizustehen, die Rückkehr zu verkraften. Eine gelungene Gesichts-OP lässt Nellys Aussehen zwar wiederherstellen, beseitigt jedoch nicht die Entmenschlichung der KZ-Erfahrung.
Als sich Nelly auf die Suche nach ihrem Mann Johnny macht, erkennt er sie nicht. Das schweizerische Erbe seiner totgeglaubten Frau wird Johnny vorenthalten. Als er in der fremden Frau die Ähnlichkeit mit Nelly zu erkennen glaubt, versucht er, die Verwandtschaft zu bluffen, und inszeniert die angebliche Rückkehr seiner Frau aus dem KZ. Nelly glaubt, über das Doppelgängerinnen-Spiel mit ihrer Ähnlichkeit, seine Liebe wiederzuerlangen. Johnny jedoch ist nur besessen von seinem Plan, das Erbe antreten zu können.
Christian Petzold schreibt über seinen Film: »Ein Text, der uns in der Vorbereitung sehr beeindruckt hat, war „Ein Liebesversuch“ von Alexander Kluge. Ich glaube, das ist der wichtigste Text für uns gewesen. Ist es möglich, über den tiefen, nihilistischen Riss, den die Nationalsozialisten und die Deutschen vollzogen haben, über diesen Riss zurückzuspringen und etwas zu rekonstruieren - die Gefühle, die Liebe, die Barmherzigkeit, das Mitleid, das Leben?
Phoenix erzählt die Geschichte einer Frau, die nicht einsehen will, dass „keine Erzählung, kein Gesang, kein Gedicht“, dass die Liebe nicht mehr möglich sein soll. Diese Menschen, finde ich, die etwas nicht einsehen wollen und dadurch Sand im Getriebe sind, sind die interessantesten.«
Bei Phoenix steht die Story fast in direkter Konkurrenz zur Ausarbeitung des zentralen Themas. Petzold versucht, in seinem Film den Punkt Identitätsverlust aufzuarbeiten. Dabei streicht er verwandte Themen wie Entfremdung und Selbstbestimmung, Traumaverarbeitung und Missverstehen, und wenn das noch nicht genug wäre, dabei trotz allem neuen Lebensmut zu finden.
Die Story wird reichlich konstruiert in einen prekären Abschnitt der deutschen Geschichte gebettet - eine Zeit, in der die meisten Deutschen, 1945 vom Kriegsschrecken traumatisiert, nicht in der Lage waren, die Kriegsgeschehnisse annehmen, geschweige denn aufarbeiten zu können. Die Vergangenheit wurde für tot erklärt, man baute auf, um irgendwie weiterzumachen.
Petzolds Geschichte wird absurd, als Nelly dann auch noch den Beweis vor Augen geführt bekommt, dass ihr eigener, geliebter Mann sie seinerzeit an die Nazis verraten hatte. Nelly hält stoisch an ihrer Liebe zu ihrem Mann fest, und Petzolds eigentliches Anliegen, das Thema Identitätsverlust, verliert den Wettstreit zu Gunsten einer Story, die immer abstrakter und inszenierter wirkt.
Die Regie argumentiert, Nelly könne nur zu sich selbst zurückfinden, durch die Anerkennung der Liebe zu ihrem Mann, die sie schließlich das KZ hat überleben lassen. Dabei wird betont, dass die Nazis Identitäten ausradiert und den Menschen das selbst genommen haben. Die Heimkehrer kamen als Geister zurück, ausgelöschte Persönlichkeiten, auf die keiner gewartet hatte und von denen keiner wissen wollte, wie es ihnen im KZ ergangen war.
Phoenix - eine Auferstehungsgeschichte? Nach sechs gemeinsamen Filmen mit Nina Hoss wünsche ich mir von der Regie einen Aufbruch in neue Gefilde. Vielleicht könnte Phoenix als Auferstehung ein gutes Ende einer Reihe bedeuten. Christian Petzold, als einer unserer besten Pferde im deutschen Regiestall, traue ich doch noch einiges mehr zu. ■ bh