Wie der Wind sich hebt
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In seinem offiziell letzten Film zeichnet Hayao Miyazaki, der 1985 das japanische Zeichentrickstudio Ghibli gründete, nach Der Mohnblumenberg noch eine weitere Epoche in der Geschichte Japans nach - die Zeit vor dem II. Weltkrieg, in der unser Held Jiro hautnah das große Erdbeben von Kanto 1923, die Große Depression, Arbeitslosigkeit, Armut, Tuberkulose, Revolutionen und Faschismus sowie die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung miterlebt.
Der erfolgreichste Film des vergangenen Jahres in Japan, der in diesem Jahr für den Oscar® nominiert war, handelt von Jiro Horikoshi, der sich schon als kleiner Junge nach luftigen Höhen sehnte. Der sensible Träumer möchte am liebsten in selbst entworfenen Flugzeugen durch den Himmel gleiten, wie sein großes Vorbild, der italienische Ingenieur Caproni. Seine Kurzsichtigkeit hindert Jiro aber an einer Karriere als Pilot. Während Japans Taisho-Ära (1912-1926) entscheidet sich der Junge vom Land, Flugzeugdesigner zu werden. Er träumt davon, ein Flugzeug zu bauen, das so wundervoll fliegt wie der Wind.
Stattdessen steigt er 1927 bei einem großen japanischen Ingenieursbüro ein und revolutioniert mit seinen innovativen Ideen und Designs den Flugzeugbau weltweit. Während einer Zugfahrt begegnet er der hübschen Nahoko, mit der er sich Jahre später nach einem zufälligen Wiedersehen verlobt. Während Jiro über die Jahre als Chefentwickler für mehrere Unternehmen Kriegsflugzeuge baut, hat Nahoko mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen...
Als Inspiration diente „Le vent se lève!... Il faut tenter de vivre!“ (Der Wind kommt auf!... Man muss zu leben wagen), eine Zeile aus einem Gedicht von Paul Valéry. Der Film kombiniert Jiro Hirokoshi, der Flugzeugingenieur, der den legendären Zero Kampfjet entworfen hat, der später Pearl Harbor angegriffen hat, mit dem Schriftsteller Tatsuo Hori (zwei reale Menschen, die in der entsprechenden Zeit lebten), um „Jiro“, die Hauptfigur der Geschichte, zu erschaffen.
Der Film hat im Heimatland kontroverse Kritiken ausgelöst, denn Hayao Miyazaki widerspricht sich in seinem Werk ein wenig: Er liebt Kampfflugzeuge, hasst aber den Krieg. Um eine Stellungnahme zu umgehen, versuchte er, die Geschichte Jiros so objektiv wie möglich zu erzählen. Alles wird aus einer Zuschauerperspektive erzählt, die den Ereignissen beiwohnt, ohne zu sehr auf Jiros Standpunkt einzugehen, auch wenn Jiro gegen Ende trocken erwähnt: „Aber dann würde das Gewicht ein Problem werden... Wenn wir die Waffen weglassen, sollten wir okay sein.“ - was dann wiederum in brüllendes Gelächter seiner Kollegen ausartet.
Es ist eine ungewohnte Form der Erzählung - ein animiertes Biopic, angelehnt an echten Figuren. Die einzigen Fantasyelemente, die man von Miyazaki gewohnt ist, kommen in Jiros Traumsequenzen vor, in denen er immer wieder von dem italienischen Flugzeugdesigner Gianni Caproni träumt, seinem Vorbild. Die tragische Liebesgeschichte ist hier erzählerisch sekundär, hilft jedoch ungemein, die Unzulänglichkeiten der Hauptgeschichte auszumerzen und Jiro menschlicher zu zeigen, zieht den Film jedoch auch in die Länge.
Ein interessanter Aspekt des Films ist die Geräuschwahl: Alle zumeist negativen Geräusche, so scheint es, also Erdbeben, Zerstörung, Explosionen u.ä., wurden mit der menschlichen Stimme erzeugt, was zunächst ein wenig schmunzeln lässt, weil das an die eigene Kindheit erinnert, in der man diese Geräusche beim Spielen selbst nachgeahmt hatte.
»Hayako Miyazaki ist nicht der einzige Mensch, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen dem Glauben an die Menschheit und der Verzweiflung an ihr hin und her gerissen wurde. Ich bin überzeugt, dieses Thema ist das größte Problem, dem sich die japanische Bevölkerung aussetzen muss«, erklärt Produzent Toshio Suzuki.
Hin- und hergerissen ist man dann auch als Zuschauer, eine klare Botschaft zu erkennen. Vieles wird nur angedeutet, Erzählpassagen gekürzt, wie es bei vielen Biopics der Fall ist, wodurch der Film an Emotionalität verliert. In gewisser Weise erkennt man dadurch, dass der Film nach mehr verlangt, was wohl der Tatsache geschuldet ist, dass die Geschichte um Jiro ursprünglich einer Manga-Serie entstammt, die Miyazaki vor Jahren nebenbei gezeichnet hatte. Die Idee, daraus einen Film zu machen, gefiel ihm zunächst nicht: »Ich zeichne diesen Manga als ein Hobby. Einen Film auf dieser Grundlage zu drehen, kommt nicht in Frage. Animation soll für Kinder sein. Einen Film nur für ältere Zuschauer sollte man vermeiden.«
Und doch ließ er sich schließlich dazu überreden, das Projekt umzusetzen. »Ich möchte etwas erschaffen, das realistisch, fantastisch und bei Zeiten überzeichnet ist, aber insgesamt einen wunderschönen Film ergibt«, erklärt der Regisseur. In dem Film geht es um die Träume eines Jungen, fliegen zu können, und die Euphorie, diese Träume umzusetzen. Miyazaki verstrickt sich jedoch dabei ein wenig, weil auch die Realität erzählt werden sollte. So sieht man in den Passagen, in denen er träumt oder ihm gute Dinge widerfahren, weiße Wolken und blauen Himmel, während in den restlichen Abschnitten eher rote, braune oder graue Farbtöne dominieren.
Wie der Wind sich hebt, dessen deutscher Titel sich an den Vers von Valéry und sich demzufolge an den französischen Filmtitel anlehnt, vom Originaltitel her eigentlich mit „Fliegen wie der Wind“ übersetzt werden müsste, ist ein mutiger Genrebruch Miyazakis, der dessen Faible für Kampfflugzeuge mit geschichtlichen Ereignissen verbindet. Dass das kein Stoff für Kinder ist, liegt auf der Hand, zudem im Film auch noch viel und oft geraucht wird. Für Erwachsene ist der Film allerdings auch etwas zu oberflächlich, im Großen und Ganzen jedoch schön anzusehen. Und einen Großteil des Gefallens hat der Film der wunderschönen Musik Joe Hisaishis zu verdanken. ■ mz