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Auge um Auge


Russell Baze beobachtet seine verlorene Liebe.
© Tobis/Relativity Media

Russell Baze ist ein rechtschaffender Stahlarbeiter und steht im Mittelpunkt des neuen Films von Regisseur und Autor Scott Cooper, der den standhaften, unsichtbaren Männern des „Stahlgürtels“ im Nordosten der USA eine Geschichte widmet. Dabei wollte er auch die erschütternden Veränderungen schildern, gegen die amerikanische Arbeiter in den letzten Jahren ankämpfen mussten.

Russell Baze, souverän gespielt von Christian Bale, der den Film direkt nach The Dark Knight rises in Angriff genommen hatte und sowohl den Umhang seines letzten Charakters als auch dessen übergroße Persönlichkeit ablegte, übt einen aussterbenden Beruf in einer fast vergessenen Stadt aus. Traditionelle Werte wie Familie, Freundschaft und Ehre sind ihm wichtig. Wie schon in seinem ersten Film Crazy Heart erforscht Cooper die dunkle, verborgene Seite der amerikanischen Psyche, dieses Mal durch die Augen der Brüder Russell und Rodney Baze.

Cooper mag Filme, in denen das stille Drama des realen Lebens im Mittelpunkt steht: »In den heutigen Filmen findet man oft übertrieben heldenhafte Menschen in haarsträubenden Kostümen. Aber für mich sind die Amerikaner der Arbeiterklasse die wahren Helden. Dies ist die Geschichte eines Mannes, der in einem Stahlwerk arbeitet, und sie behandelt die Themen Gerechtigkeit, Vergeltung und Mut. Ich habe großen Respekt für jeden, der seinen Lebensunterhalt durch harte Arbeit verdient und auf das stolz ist, was er tut. Gerade die Stahlindustrie hat mich schon immer interessiert. Die Arbeit dieser Männer ist anstrengend und mitunter gefährlich, und wir alle profitieren davon täglich.«

Das Drehbuch war laut Mitproduzent Michael Ireland schon durch verschiedene Hände gegangen, bevor Cooper sich ihm annahm: »Scott Cooper brachte eine ganz neue Dimension hinzu. Er ist ein brillanter Autor und Auteur im wahrsten Sinn des Wortes. Er versteht einfach die menschliche Seele. Als Schauspieler weiß er, was Charaktere motiviert und er war in der Lage, echte Gefühle in das Drehbuch einzubringen.«

Cooper dachte sich eine Geschichte von zwei Brüdern aus, die mit der Tatsache fertig werden müssen, dass sie ihr gewohntes Leben nicht mehr so weiterführen können. Casey Affleck spielt darin Rodney, einen Irak-Veteranen, der sich, wieder zuhause, weder emotional noch finanziell über Wasser halten kann. Als Rodney verantwortungslose und sogar gefährliche Entscheidungen trifft, versucht Russell, ihn in andere Bahnen zu lenken - vergebens.

»Es ist eine Geschichte über eine Art von Männern, die man nicht mehr so häufig sieht«, fährt Ireland fort. »Sie wissen, was harte Arbeit ist, halten Familie und Loyalität hoch. Der jüngere Bruder schuldet dem falschen Mann Geld. Als er plötzlich verschwindet, muss der ältere Bruder entscheiden, was zu tun ist. Der Kern des Films ist Russells emotionale Reise, um seinen Bruder zu rehabilitieren.«

Coopers Film beginnt mit einer extrem brutalen Szene, die das Publikum mit Harlan DeGroats Vorliebe für Gewalt vertraut macht und darauf einstimmt, was noch kommen wird. Woody Harrelson verkörpert den fiesen Anführer einer Bande, die in den Wäldern nach ihren eigenen Gesetzen herrschen. »Der gesamte Film ist eine Auseinandersetzung mit dem Wesen von Gewalt in einer Gesellschaft, in der Männer ihre eigenen Probleme lösen müssen«, sagt der Regisseur. »Wir sehen das heutzutage in Syrien, in Kairo, im Süden von Los Angeles. Wir sehen es in Chicago und Detroit. Ich dachte, wenn ich Gewalt auf diese Art betrachten will, sollte der Film auch mit sehr authentisch dargestellter Gewalt beginnen.«

Danach beginnt die eigentliche Geschichte mit der Bekanntmachung mit den Charakteren der einzelnen Figuren. Russell sorgt sich um seinen in den letzten Atemzügen liegenden Vater auf dem Sterbebett, paukt seinen Bruder mit dem hart verdienten Bisschen Geld aus dessen Spielschulden heraus, hat aber auch andererseits eine Bezeihung zu der schönen Kindergärtnerin Lena - gespielt von Zoë Saldaña, die sich zwischen den Star-Trek-Filmen anspruchsvollen Rollen widmet.

Plötzlich wird Russells Welt auf den Kopf gestellt, als er eines Abends auf dem Heimweg von der Kneipe ein ausparkendes Auto rammt und ein darin befindliches Kleinkind samt Mutter den (angedeuteten) Tod findet. Auch wenn er jetzt nicht wirklich Schuld ist, so hatte er doch genug Alkohol im Blut, um für ein paar Jahre hinter Gittern zu landen. Für den Zuschauer kommt das genauso überraschend wie für Russell, der sich im Gefängnis erst einmal etablieren muss, um zu überleben. Er versucht, den Ball flach zu halten, doch genau aus diesem Grund wird er attackiert und zahlt es dem Angreifer auch ordentlich heim - ein Muss für seine Charakterformung, den Rest der Geschichte betreffend.

Die Zeit verging, und Rodney berichtete seinem Bruder bei seinen Besuchen vom Rest der Welt: Ihr Vater stirbt und Lena will Russell im Gefängnis nicht besuchen, was die beiden entzweit. Als Russell dann seine Strafe abgesessen hatte, versuchte er, in seinem alten Leben wieder Fuß zu fassen, doch die Welt hat sich zu sehr verändert. Auch sein Bruder vertreibt sich die Zeit inzwischen mit illegalen Boxkämpfen, um seine Schulden abzubauen, da sein Bruder im Knast saß. Dabei lag sein Hauptaugenmerk eher im Aufstehen und Gewinnen als im bestimmten Verlieren, wie er das mit dem Kleinstadt-Buchmacher John Petty (eine klassische Rolle für Willem Dafoe, der auch in einer ähnlichen Rolle ab dieser Woche in Nymphomaniac zu sehen ist) vereinbart hat.

Als Dafoe das Drehbuch zum ersten Mal las, dachte er sich: Wow, solche Filme werden eigentlich nicht mehr gemacht. Solche Geschichten erzählt man uns nicht mehr so häufig. Ich fand die Szenen sehr realistisch, atmosphärisch dicht, gut geschrieben und unglaublich stark. Petty ist der typische Kleingangster, dessen Verbindungen dennoch über Braddock hinausgehen. »Er wird hauptsächlich dadurch definiert, was er beruflich als Buchmacher tut«, erklärt der Schauspieler.

»Er ist so etwas wie ein Parasit. Aber er ist auch ein Freund der Familie Baze und das ist das Wichtigste hier. Ich spiele gern Charaktere, die sich selbst im Weg stehen und lauter Widersprüche in sich tragen. Petty weiß, dass die Brüder ziemliches Pech hatten. Aber Rodney schuldet ihm ganz schön viel Geld und das Geschäft geht vor.«

Zur Familie Baze gehört auch noch Onkel Red, der von Multitalent Sam Shepard gespielt wird. »Er ist wie eine alte Eiche«, sagt Casey Affleck über den berühmten Schauspieler und Dramatiker. »Er ist unbeweglich auf die beste Art und Weise. Wenn Du mit Sam arbeitest, weißt Du, warum er eine Legende ist.«

Als der Vater von Rodney und Russell stirbt, wird Red zum Oberhaupt der Familie. Er ist ein liebendender und hingebungsvoller Onkel, der versucht, seinen Neffen eine Perspektive aufzuzeigen und Sicherheit zu geben. »Red ist derjenige, der Russell Hoffnung gibt«, sagt Scott Cooper. »Er ist die Stimme der Vernunft. Sam Shepard ist nationales Kulturgut. Er ist einer meiner Lieblingsautoren und außerdem ein wundervoller Schauspieler. Er gibt dem Film eine ausgleichende Intensität.«

Shepard, der oft über die amerikanische Arbeiterklasse geschrieben hat, findet, dass Braddock als Drehort inspirierend, aber auch sehr deprimierend war: »Die Gegend von Braddock ist wie Detroit oder wie das Umland von New York – oder wie irgendeines dieser industriellen Mekkas, die plötzlich in sich zusammengebrochen sind. Und immer aus denselben Gründen. Es ist eine alte Geschichte, das aber mit eigenen Augen zu sehen, ist sehr, sehr traurig.«

Die subversiven Elemente dieser Umgebung sammeln dementsprechend die übrig gebliebenen Ziellosen auf und beanspruchen sie für ihre Zwecke. In seiner Rolle als Bandenboss Harlan DeGroat, mit der er seinen Part aus Natural Born Killers reüssiert, wird wieder einmal deutlich, warum Woody Harrelson einer der anerkanntesten Charakterdarsteller ist. »Woody ist in dieser Rolle wirklich angsteinflößend«, so Michael Ireland. »Er ist ein sehr wandlungsfähiger Schauspieler, aber so hat man ihn noch nie gesehen. Er ist ein brutaler Fiesling, der Wetten annimmt, illegale Glücksspiele und Boxkämpfe organisiert oder was ihm sonst noch so einfällt. Woody ist der netteste Typ überhaupt, aber wenn er gerade in dieser Rolle steckt, sollte man lieber einen großen Bogen um ihn machen.«

Als Harrelson das Drehbuch zum ersten Mal las, fand er nichts an seinem Charakter sympathisch – und genau das faszinierte ihn: »Es ist ziemlich düsterer Stoff und DeGroat ist der extremste Charakter, den ich je gespielt habe. Mich in diese Rolle hineinzudenken, hat mir viel Fantasie abverlangt. Ich schrieb Tagebucheinträge aus seiner Perspektive, um ihn besser kennenzulernen.«

Woody Harrelson fand auch die Zusammenarbeit mit Christian Bale und Casey Affleck sehr inspirierend: »Casey ist wie ein wildes Tier. Du weißt nicht, was er als Nächstes tun wird. Ich glaube, er weiß es bis zu dem Moment selbst nicht. Und es war faszinierend zu sehen, wie wenig sich Christian von der Vorlage während des gesamten Drehs entfernte. Er ist so fokussiert und engagiert, wie man es nur sein kann. Wir hatten eine Szene außerhalb dieser Bar, in der sich meine Figur nach möglichen Gefahren umschaut. Christian saß in einem Truck die Straße runter und war nicht im Bild. Ich konnte ihn nicht sehen, aber er saß für eine Stunde in dem verdammten Auto. Nur als physische Präsenz abseits der Kamera. Es war eine der tollsten Sachen, die ein anderer Schauspieler jemals für mich gemacht hat.«

In seiner aus den Fugen geratenen Welt versucht Russell, mit Lena wieder Kontakt aufzunehmen, doch er muss feststellen, dss sie sich inzwischen ein neues Leben aufgebaut hat - ohne ihn. Zoë Saldaña schätzt an der Rolle der Lena die Balance zwischen Stärke, Schwäche, Loyalität und eigenem Willen: »Gott weiß, was sie durchmachen musste, als sie sich entschied, Baze für den Sheriff und ein besseres Leben zu verlassen. Jeder Einzelne füllte seine Rolle so gut aus, das war eine große Inspiration für mich und half mir, meine Figur besser zu verstehen. Das war toll.«

Die Rolle von Wesley Barnes, dem Sheriff von Braddock, wird von Oscar®-Preisträger Forest Whitaker gespielt. Die Probleme, die die Baze-Brüder mit der Justiz haben, komplizieren die ohnehin schon schwierige Situation von Barnes. »Er weiß, dass die Welt der Familie Baze langsam auseinanderfällt«, sagt Whitaker. »Und er versucht, ihnen trotz seiner Gefühle für Lena und ihrer vorherigen Beziehung mit Russell zu helfen.« Whitaker war angetan davon, wie gut der Film das Thema Familie erforscht: »Ich fühle mich zu der starken Beziehung der Brüder hingezogen. Es ist ein stiller Dialog, der ohne Worte auskommt. Ich denke, dass das Drehbuch mit diesem Aspekt sehr gut umgeht.«

Als Rodney dann plötzlich verschwindet, setzt Russell alle Hebel in Gang, um ihn zu retten. Als Buchmacher Petty ihn dann schließlich aus den Fängen des unberechenbaren DeGroat befreien will, kommt es schließlich zum tragischen Wendepunkt der Geschichte, der Russell zum letzten Mittel greifen lässt: Rache. Doch die Angst der Polizei vor DeGroat und seinen Schergen schiebt ihm einen Riegel vor. Jetzt muss Russell Trick 17 anwenden, um DeGroat in die Falle zu locken, die er sorgfältig präpariert hat. Schließlich geht es jetzt ums Eingemachte - einen Zweikampf „Auge um Auge“...

Der Film ist einerseits eine Charakterstudie einer amerikanischen Kleinstadt vor dem Aus, andererseits eine grausige Rachegeschichte, so real wie möglich inszeniert, ohne auf billige Jagden und Schießereien zu setzen - auch wenn der Film nicht ganz darauf verzichten kann. Kameramann Masanobu Takayanagi schuf zusammen mit Cooper einen visuell düstern Stil, der den Film durchdringt und die friedlichen Wälder um Braddock herum mit den angeschlagenen, verrußten Häusern in der Stadt kontrastiert. »Es war sehr wichtig einen Kameramann zu finden, der Realismus, Geschichte, Authentizität und Kraft durch die Wahl seiner Einstellungen, Beleuchtung und Linsen wiedergeben konnte«, sagt Scott Cooper.

»Masanobus jüngste Filme, unter denen sich The Grey - Unter Wölfen und Warrior befinden, entpuppten sich als erstaunlich gut. Er vermittelt in seinen Bildern Authentizität. Er versteht, wie man das Licht bricht und wie man aus einem psychologischen und emotionalen Blickwinkel dreht. Die Zusammenarbeit mit ihm war besser, als ich es mir jemals erhofft hatte.«

Der Regisseur sagt dasselbe über die Szenenbildnerin Thérèse DePrez: »Ihre Arbeit an Filmen wie Black Swan spricht Bände. Wie bei den besten Kameraleuten, ist die Arbeit des Szenenbildners optisch kaum wahrzunehmen. Sie sticht nicht heraus, aber unterstützt die Schauspieler und die Welt, in der sie sich befinden. Ich habe DePrez' Arbeit schon lange bewundert, weil sie so real und detailliert ist. Und Kurt und Bart, die Kostümdesigner, haben wunderbar mit Thérèse zusammengearbeitet – insbesondere, wenn es darum ging, eine Farbpalette für den Film zu schaffen.«

Der Film wurde in nur 34 Tagen komplett in Braddock und Umgebung als auch größtenteils mit dortigem Personal gedreht, was dem Film zusätzlich Authentizität verleiht. Doch alle Authentizität und grandiose Schauspieler helfen dem düsteren Film nicht über gewisse Schwächen hinweg. So fehlt für einen Thriller die nötige Spannung und für eine persönliche Bindung des Zuschauers mit den Hauptfiguren wenigstens eine Prise Humor.

Der Film ist so bierernst und dramatisch, dass man lediglich von körperlichen Handlungen der Akteure wachgerüttelt wird. Die Filmmusik von einem unauffälligen Dickon Hinchliffe, der zuletzt für das ebenso untergegangene Landwirtschaftsdrama Um jeden Preis, aber auch für das eher durch Jennifer Lawrence erfolgreiche Winter's Bone verantwortlich zeichnete, ist so unterschwellig abwesend, dass man in den melancholischen Szenen ein wenig ins Augen-zu-Land abdriften vermag.

Die großen Aufspieler des Films sind ohne Frage Casey Affleck und Woody Harrelson, bei denen es dem Zuschauer eine Freude ist, zuzusehen. Das Ganze ist ein wenig zu unprätentiös und langweilig, weshalb der Film auch bei den großen Filmpreisen ohne Nominierungen vorbeistreifte. Die großen Bilder mögen zwar im Kino bewundernswert sein, aber da gibt es schon ganz andere Filme mit tollen Bildern, die nie ins Kino gekommen sind und trotzdem unterhalten. Auge um Auge will Arthaus-Kino sein und unterhalten, doch der Spagat geht in die Hose, was irgendwie schade ist, besonders bei den tollen Schauspielern. ■ mz

5. April 2014
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OT: Out of the Furnace
Drama/Thriller
USA/GB 2013
116 min


mit

Christian Bale (Russell Baze) David Nathan
Casey Affleck (Rodney Baze jr.) Björn Schalla
Willem Dafoe (John Petty) Reiner Schöne
Woody Harrelson (Harlan DeGroat) Thomas Nero Wolff
Zoë Saldaña (Lena Taylor) Tanja Geke
Forest Whitaker (Wesley Barnes) Tobias Meister
Sam Shepard (Gerald „Red“ Baze) Frank Glaubrecht
Tom Bower (Dan Dugan)

drehbuch
Brad Ingelsby
Scott Cooper

musik
Dickon Hinchliffe

kamera
Masanobu Takayanagi

regie
Scott Cooper

produktion
Appian Way
Energy Entertainment
Red Granite Pictures
Relativity Media
Scott Free Productions

verleih
Tobis

Kinostart: 3. April 2014