Captain Phillips
© Sony Pictures
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Paul Greengrass ist bekannt für seine Dokudramen Bloody Sunday, Flug 93 oder zuletzt Green Zone, kann aber auch reine Actionthriller, was er mit seinen 2 Bourne-Filmen bewiesen hat. Diesmal hat es ihm die Geschichte des Seekapitäns Richard Phillips angetan, der seine Erlebnisse während der versuchten Kaperung des Containerschiffes MV Maersk Alabama von somalischen Piraten im Jahr 2009 niederschrieb und zusammen mit dem Autor Stephan Talty veröffentlichte.
Der charakteristische Stil von Regisseur Paul Greengrass macht den Film gleichzeitig zu einem fesselnden Thriller und einem komplexen Portrait der zahlreichen Folgen der Globalisierung. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen dem kommandierenden Offizier der Alabama, Kapitän Richard Phillips, und dem somalischen Piratenkapitän Muse, der ihn entführt.
Phillips und Muse geraten auf einen unumkehrbaren Kollisionskurs, als Muse und seine Crew das unbewaffnete Schiff von Phillips ins Visier nehmen. In der Folge kommt es zu einer äußerst verfahrenen Pattsituation. Die beiden Männer finden sich plötzlich 145 Meilen vor der somalischen Küste Kräften ausgeliefert, die jenseits ihrer Kontrolle liegen.
Greengrass' investigativer Instinkt und sein Beherrschen der Thrillerform kommen in Captain Phillips zusammen, denn der Regisseur wollte in seinem neuesten Werk nicht nur die heldenhafte Befreiung aufzeigen, wie sie in den Nachrichten zu sehen war. Er wollte die Geschichte auch komplett aus der Sicht von beiden Parteien erzählen - aus der Sicht des Kapitäns als auch der Piraten.
»Ich will Wahrhaftigkeit«, sagt Greengrass. »Ich möchte die Realität und die Direktheit des Ereignisses vermitteln, so wie es geschehen ist, was bedeutet, dass wir uns während der Vorproduktion in Nachforschungen vergraben haben. Ich habe das schon immer gefühlt, dass man vom Konzeptionieren der Dreharbeiten bis hin zur Nachproduktion das Recht auf die Aufmerksamkeit des Zuschauers verdienen muss, und dass man das niemals voraussetzen sollte.«
Co-Produzent Michael Bronner, ein langjähriger Mitarbeiter von Greengrass, erläutert die Situation näher, nachdem er sich tiefschürfend mit dem Thema beschäftigt hatte: »Somalia, das nach dem Fall der Militärdiktatur 1991 durch Bürgerkrieg stark geschwächt war, wurde, nachdem die EU Bestimmungen verschärft hatte, gleichzeitig von einem Zustrom illegalen Fischens getroffen, wobei ganze Flotten in neue Jagdgründe fuhren.
Somalische Piraterie begann als Reaktion auf das ausländische Überfischen: Ehemalige Fischer kapern Schiffe und verlangen dafür Lösegeld als Einkommensersatz. Als allen klar wurde, dass das ein profitables Geschäft ist, zog es auch die Warlords an, unter dessen Macht die Piraterie zu einem organisierten, grenzüberschreitenden Unternehmen wurde.
Somalische Piraterie ist organisiertes Verbrechen, das in dessen Struktur wahrlich global agiert, unterstützt durch Kapitalgeber nicht nur in Afrika, sondern auch in Europa und Nordamerika. Die Jungs auf den Booten, so wie Muse und seine Mannschaft, die losgeschickt werden, die Frachtschiffe zu überfallen, sind lediglich das Ende einer langen, komplexen Kette von Mitspielern, die dieses sehr lukrative „Geschäft“ kontrollieren.
Die Bosse von Piratenkonglomeraten sind imstande, reich und prunkvoll leben zu können - das in einem Land, in dem die Armut so extrem ist, dass junge Männer ohne andere Perspektiven buchstäblich alles riskieren, um eine Kostprobe von jenem Leben zu bekommen.«
Bronner ergänzte seine Nachforschungen in die somalische Piraterie mit Nachforschungen in der internationalen Schifffahrtindustrie. Er führte ausführliche Interviews mit Maersk-Führungskräften als auch den echten Mannschaftsmitgliedern der Alabama, die während der Krise an Bord waren, um das Leben eines Seemanns verstehen zu können, als auch internationale Rechte und wirtschaftliche Gegebenheiten, die Containerschiffe regulieren.
Die Maersk Alabama war unbewaffnet, als sie überfallen wurde - so wie es alle Handelsschiffe in Übereinstimmung mit den internationalen Regularien zu jener Zeit waren. Man beriet zwar, auch kurz vor dem Überfall, über Risikenminimierung der Maersk-Schiffe, die in gefährlichen Wassern navigieren, doch der letztliche Piratenangriff führte zu Änderungen in der Industrie, dass bewaffnete Wachen (in den meisten Fällen ehemalige Navy SEALs) Handelsschiffe auf den am meisten gefährdeten Routen begleiten.
Paul Greengrass erzählt in seinem Film auch wirklich die Geschichten aller Beteiligten vor Ort - vom Kapitän, der sich auf seine Fahrt vorbereitet, über die Piraten, die Männer für ihre Unternehmungen anheuern, bis hin zu den einzelnen Mannschaftsmitgliedern der Alabama.
Ganz interessant ist dabei der Aspekt eines besorgten Seemanns, der von der Route und dessen Gefährlichkeit erfährt und sich sogleich aufspult, der Gewerkschaft zu melden, dass er für einen solch gefährlichen Job nicht ausreichend bezahlt wird. Die traurige Wahrheit spricht Kapitän Phillips selbst aus, dass Derjenige kündigen und im nächsten Hafen von Bord gehen kann, dann aber noch lange nicht in Sicherheit sei. Abgesehen davon sind ja auch alle auf ihre Heuer angewiesen, um ihren bzw. den Lebensunterhalt ihrer Familien zu verdienen. Als sich die Mannschaft letztlich versteckt, wird auch die Angst in deren Gesichtern gezeigt, die sich dann auch auf den Zuschauer überträgt.
Alles in Allem ist der Film eine spannende Rekonstruktion der damaligen Geschehnisse, womit sich Greengrass und seine Mitarbeiter ein großes Lob verdient haben. Dabei verzichtet Greengrass weitgehend auf unidentifizierbare Bilder durch Wackelkamera, die er bei den Bourne-Filmen bis zum Weckgucken angewandt hatte, verliert sich am Anfang jedoch ein wenig mit der völlig unwesentlichen privaten Seite des Kapitäns, die später im Film kaum noch Erwähnung findet. Vielleicht wollte Catherine Keener unbedingt mitmachen...man weiß es nicht. Zwei Stunden hätten bei dem Film jedenfalls auch gereicht. Für Tom Hanks und seinen Gegenspieler Barkhad Abdi könnten aber zumindest Preisnominierungen anstehen. ■ mz