Hitchcock
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Alfred Hitchcock, der „master of suspense“, der einige der intensivsten filmischen Erfahrungen von Bedrohung und Intrige für Kinozuschauer schuf, hatte eine verborgene Seite: die kreativ explosive Beziehung zu seiner ihm stets zur Seite stehenden Ehefrau und Mitschöpferin seiner Filme - Alma Reville.
Sacha Gervasis Hitchcock enthüllt zum ersten Mal die faszinierende und komplexe Liebesgeschichte dieses Ehepaares. Gervasi entwickelt sein biografisches Drama vor dem Hintergrund von Hitchcocks wohl gewagtesten Filmabenteuers – der Produktion des schaurig-gruseligen Thrillers Psycho, der Hitchcocks kontroversester und legendärster Film werden sollte. Nach dem Ende der turbulenten, aller Widrigkeiten zum Trotz gestemmten Produktion hatte sich das Medium Film für immer verändert. Aber nur wenige erkannten, dass dafür zwei Künstler verantwortlich waren.
Mit Hilfe einer prominenten Besetzung erzählt Gervasi eine Geschichte ganz in der Tradition Hitchcocks, eine Geschichte voller Überraschungen, düsterer Wendungen und komischer Ironie. Doch im Mittelpunkt des Film stehen nicht nur die Obsessionen und Ängste zweier Menschen, sondern auch diese unerschütterliche Liebe, die jenseits der Leinwand Motor von Hitchcocks Kunst war.
„Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich nur vier Menschen namentlich nennen, die mir die größte Zuneigung, Wertschätzung, Ermutigung und die ständige Bereitschaft, mit mir zusammenzuarbeiten, zuteilwerden ließen. Die erste dieser Personen ist eine Cutterin, die zweite eine Drehbuchautorin, die dritte ist die Mutter meiner Tochter Pat und die vierte eine grandiose Köchin wie eh und je, die zuhause in der Küche wahre Wunder vollbracht hat. Und all diese Personen heißen Alma Reville.“
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In Alfred Hitchcocks Filmen verbergen sich Chaos, Gefahr und das unheimliche Böse im Schatten seiner Charaktere, die ein ganz gewöhnliches Leben haben. Aber wie sah es mit Hitchcocks eigenem alltäglichen Leben aus? Das Image des berühmten Regisseurs wurde in der Öffentlichkeit von seiner beleibten Silhouette und seinem makaberen Humor geprägt. Und dieses Image, das es ihm ermöglichte, sein wahres Inneres verborgen zu halten, pflegte der mit den größten Fähigkeiten gesegnete Filmemacher mit viel Geschick. Trotzdem stand eine Frage viele Jahrzehnte lang ungelöst im Raum: Gibt es einen Weg, den Mann hinter der Ikone Hitchcock zu zeigen?
Für Regisseur Gervasi ist die Antwort darauf: es ist eine Frau - und zwar nicht eine der berüchtigten Hitchcock-Blondinen, die mit ihrer kühlen, unnahbaren Schönheit und Anziehungskraft in seinen Filmen immer wieder auftauchen und diese schmücken. Die Antwort liegt bei einer Frau, die der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben ist. Gemeint ist Hitchcocks Ehefrau Alma, die hinter den Kulissen die Arbeit ihres Mannes maßgeblich beeinflusste, seine Abwehrbarrieren durchbrach und, ohne viel Aufhebens davon zu machen, immer die stille, bescheidene Mitschöpferin seiner Filme war.
»Im Grunde wissen wir nicht wirklich viel über Hitchcock«, räumt Gervasi ein. »In der Öffentlichkeit zeigte er sich stets als sehr wortgewandter, komischer Mann mit trockenem Humor. Dieses Image war unglaublich ausgeprägt und von ihm selbst entwickelt und kultiviert. Doch über sich selbst verriet er nie etwas. Er war ein totales Mysterium, gab nichts von sich preis. Deshalb faszinierte es mich herauszufinden, ob ich einen emotionalen Film über einen Mann verwirklichen könnte, der nach außen keine Gefühle sichtbar werden ließ.«
Nach seinen ausgiebigen Recherchen kam Gervasi zu der Überzeugung, dass sich Hitchcock und Alma 1959 nach dem Kinostart von Der unsichtbare Dritte, nach ihrem elegantesten und kommerziell erfolgreichsten romantischen Thriller, kreativ an einem Scheideweg befanden.
»Meiner Ansicht nach war Hitchcock dazu bereit, sich künstlerisch wachzurütteln«, erläutert Gervasi. »Er wollte nicht immer wieder einen Film wie ‚Der unsichtbare Dritte’ drehen müssen. Er selbst nannte diese Filme „ein Kinderspiel“. Es waren unglaublich opulente, romantische Filme mit blendend aussehenden Stars in den Hauptrollen. Er wollte sich künstlerisch wieder lebendig fühlen können. Und dieser Wunsch führte ihn zu Psycho.«
Almas Situation war allerdings eine völlig andere, wie Gervasi näher ausführt: »Wenn wir sie in unserem Film kennenlernen, fühlt Alma sich von ihrem Mann nicht angemessen gewürdigt. Sein zwanghaftes Bestreben, diesen Film aller Widerstände zum Trotz fertigzustellen, führt zu einem etwas egoistischen Verhalten. Im Laufe unserer Geschichte aber wird Alfred bewusst, welchen unglaublichen und wertvollen Schatz er mit dieser Frau besitzt – eine Partnerin, die er anerkennen und auf die er sich verlassen muss, und sei es auch in der für ihn typischen sehr beherrschten und unsentimentalen Art.
Meiner Ansicht nach ist es genau dieser Aspekt, der diese Story zu einer starken Liebesgeschichte macht. Wir alle sind wohl an einem bestimmten Zeitpunkt aufgewacht und haben dann über jemanden gesagt, „Mein Gott! Dieser Mensch hat zu mir gestanden ungeachtet des ganzen Mists, den ich gemacht und ungeachtet aller Selbstsucht, die ich gezeigt habe. Wie blind ich doch gewesen bin.“ Dieser Film mag sich um einen sehr berühmten Filmemacher und einen sehr berühmten Film drehen, aber er ist sehr lebensbezogen und menschlich.«
Um diese Aspekte jedoch herausarbeiten zu können, mied Gervasi die sentimentale Gefühlshaltung, vor der auch Hitchcock selbst zurückschreckte. Stattdessen schlug er einen verschämt respektlosen, verspielten Ton an, der es ihm und dem Film ermöglichte, sich über die beträchtlichen Schwächen des Regisseurs und über den gleichmütigen, aber oft aufschlussreichen verbalen Schlagabtausch mit Alma zu amüsieren.
Genau diese Schlagabtausche und Verhaltensweisen sind das Herzstück des Films, ummantelt von all dem zeitgemäßen Ambiente - den Sets, Kostümen und natürlich den Schauspielern. Ein ganz besonderes Dankeschön geht hier an die Besetzung von James d'Arcy als Anthony Perkins, der ihm fast wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt! Hinzu kommt die gespielte Schüchternheit, die Norman Bates berühmt gemacht hat.
Neben dem in manchen Einstellungen nicht ganz so wie Hitchcock aussehenden Anthony Hopkins, was dieser jedoch mit seiner Körperhaltung und Mimik jedoch zu überspielen vermag, ist Helen Mirren als seine Frau Alma da fast schon der eigentliche Star des Films. Sie überzeugt hauptsächlich durch ihr natürliches Spiel und zerrt uns auf den Boden der Realität herab, wodurch uns aufgezeigt wird, dass auch die Stars vor und hinter der Kamera nur Menschen sind.
Auch Scarlett Johansson, die Janet Leigh spielt, vermag die Rolle Leighs genau richtig zu interpretieren. In der Vorbereitung auf diese Rolle entdeckte sie, dass Janet Leighs ungewöhnliche Beziehung zu Hitchcock mit der Tradition gebrochen hatte: »Sie war einfach anders, war mit Tony Curtis verheiratet und hatte zwei Kinder, passte also nicht wirklich in diese Kategorie unerreichbarer Frauen hinein. Sie konnte man wirklich nicht haben, denn sie war Ehefrau und Mutter. Darüber hinaus war sie auch eine witzige und erotische Frau, der er vertrauen konnte, deren Beziehung zu Hitchcock eher einer Freundschaft ähnelte. Im Film gibt uns ihre berufliche Beziehung die Möglichkeit, Hitchcocks verspielte Seite, das Schelmische und Kindliche, sehen zu können.«
Zur Vorbereitung für ihre Rolle traf sich Johansson mit Jamie Lee Curtis, Janet Leighs älterer Tochter, und erhielt so einen tieferen Einblick in ihre Figur. »Jamie war so liebenswert, unterstützte mich so sehr, man spürte, wie stolz sie auf ihre Mutter war«, erläutert Johansson.
»Sie hat mir wunderschöne Familienfotos zugeschickt und nur das Beste über ihre Mutter erzählt – wie übrigens jeder in der Filmbranche. Nach allem, was ich über sie gehört und über sie gelesen habe, war sie eine sehr bodenständige, bescheidene Frau und vor allem eine wunderbare Mutter. Das alles waren für mich wirklich wichtige und inspirierende Informationen.«
Der Höhepunkt des Films war für Johansson die Zusammenarbeit mit Anthony Hopkins, der Hitchcock darstellt. »Seine Präsenz ist wirklich außergewöhnlich! Er wirkt fast wie ein Löwe, der sich heranschleicht, um dann genau im richtigen Moment attackieren zu können.
Wenn man mit dieser Energie konfrontiert wird, ist das ein unglaubliches Gefühl. Diese Rolle hätte kein anderer Schauspieler spielen können. Meiner Ansicht nach kann Anthony genau das Liebevolle, Traurige und auch die Intelligenz vermitteln, die diese Rolle erfordert. Im Drehbuch war das zwar alles schon vorgezeichnet, aber Tony dann tatsächlich als Hitchcock erleben zu können, war einmalig, so eine Gelegenheit bietet sich nie wieder.«
Der „Löwe“, der auch gern mal durch ein Guckloch in der Umkleidekabine spioniert, hat noch ein weiteres Objekt der Begierde in Sichtweite. Doch Vera Miles, gespielt von Jessica Biel, weiß sich gegen Hitchcocks Manieren zu wehren. Miles war durch einen 7-Jahres-Vertrag an den Regisseur gebunden, hatte die weibliche Hauptrolle in Der falsche Mann gespielt und war auch regelmäßig in seiner TV-Serie Alfred Hitchcock präsentiert zu sehen gewesen.
Hitchcock soll von ihr völlig verzaubert gewesen sein, hatte ihr bereits auch die Hauptrolle in Vertigo - Aus dem Reich der Toten gegeben, bis er vom Studio gezwungen wurde, sie durch Kim Novak zu ersetzen, als Miles vor den Dreharbeiten schwanger wurde. Zwei Jahre später besetzte Hitchcock sie in Psycho, vertraute ihr die Rolle von Lila Crane an, die im Film nach ihrer verschwundenen, von Janet Leigh verkörperten Schwester Marion sucht.
In den Augen Jessica Biels war Vera Miles sehr wohl klar, dass Hitchcock gerne die absolute Kontrolle über alles und alle hatte, dass er hart mit seinen Schauspielern umging und auch genau wusste, was Miles tat. »In seinen Filmen erschuf er extrem komplizierte Frauenfiguren. Meist waren diese Frauen nicht perfekt, stattdessen kamen sie im Leben nicht richtig zurecht, hatten psychische Probleme und einige von ihnen drehten sogar durch. Doch als Schauspielerin will ich solche Rollen unbedingt spielen, und er hat er diese Figuren in seinen Filmen immer wieder erschaffen.«
Für Hitchcock waren Ton und Bild untrennbar miteinander verbunden. Für die musikalische Untermalung und Dramatisierung seiner ausgesprochen intensiven und mit durchtriebenem Humor durchsetzten Filme wandte er sich am häufigsten an Bernard Herrmann. Der New Yorker Komponist schuf mit seiner Musik zu Psycho den vielleicht einflussreichsten Soundtrack aller Zeiten. Er war es auch, der sich Hitchcocks ursprünglichem Plan widersetzte, in der Duschszene überhaupt keine Musik zu verwenden. Stattdessen untermalte er die Sequenz mit Violinen, die wie Messerstiche klangen, und kreierte damit eine Musik, die über Generationen hinweg zum Inbegriff psychologischen Terrors wurde.
In Hitchcock wollte Sacha Gervasi Bernard Herrmann, der von Paul Schackman dargestellt wird, auch musikalisch Reverenz erweisen. Noch mehr aber sollte den Film eine eigene musikalische Sensibilität auszeichnen und die Musik dem komischen, geheimnisvollen und unerwartet romantischen Ton des Films und der Geschichte von Hitch und Alma gerecht werden. Und genau dafür wandte sich Gervasi an den Meister des skurrilen Soundtracks - Danny Elfman.
Elfman war sofort fasziniert von diesem Auftrag, besonders, weil er mit Hitchcocks Filmen aufgewachsen war und Herrmanns Musik auch Inspiration für seine eigene Arbeit war. »Ich bin schon mein ganzes Leben Hitchcock-Fan, seit meiner Kindheit schon«, erzählt Elfman. »Ich erinnere mich aber, dass ich Psycho damals beim Start nicht sehen durfte. Das war der einzige Film, in den mich meine Eltern nicht gehen ließen. Meiner Ansicht nach ist der Soundtrack zu Psycho konkurrenzlos, es ist der beste aller Zeiten. Und in gewisser Weise inspirierte er mich auch dazu, selbst Filmkomponist zu werden. Ein Film wie Hitchcock sprach mich also auf Anhieb auf verschiedenen Ebenen an.«
»Dieser Film hat seine eigene musikalische Identität«, führt Danny Elman weiter aus. »Auch musikalisch geht es hier vor allem um die intime, private Perspektive von Hitchcock und Alma, und genau das finde ich an diesem Film besonders interessant. Die Musik erinnert nie an Hitchcocks Filme – mit einer Ausnahme. Aus purem Spaß an der Sache spielten wir das berühmte Thema zu seiner Serie Alfred Hitchcock Presents an. Meine Musik für den Film ist düster, aber auch verspielt, vor allem aber romantisch, denn eben das ist dieser Film in seinem Kern auch.«
Das romantische Herz des Films vermittelt sich nicht nur durch die Musik, sondern auch in vielen subtilen Elementen und Nuancen. Dazu gehört auch der Einbau eines berühmten Markenzeichen Hitchcocks, des Gastauftritts, den sich der Regisseur in keinem seiner Filme nehmen ließ. Nachdem die Crew immer wieder darauf gedrängt hatte, wartete Sacha Gervasi den letzten Drehtag ab. Als dann die Crew die Premiere von „Psycho“ filmte, kam es endlich zu seinem Kurzauftritt, der perfekt zu diesem Film passt. So sieht man Gervasi, wie er am Ende der Vorführung mit Hitch und Alma hinaus in die Menge tritt.
Hitchcock ist eine überaus gelungene momentäre Charakterstudie des kreativen Teams hinter Psycho, eine kleine Zeitaufnahme, die nicht nur Spaß macht, sondern auch Umstände und Hintergründe aufzeigt, die Hitchcock dazu brachten, diesen Film aus eigenem Kapital zu produzieren. Sacha Gervasi (Anvil: The Story of Anvil), der u.a. das Drehbuch zu Terminal schrieb, inszenierte diesen Film als sein Spielfilmdebüt. ■ mz