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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde - Interview mit François Cluzet


Philippes Leben ist viel entspannter, seit Driss im Hause ist.
© Senator Film/Thierry Valletoux

Der am 21. September 1955 in Paris als Sohn eines Zeitungshändlers geborene François Cluzet wollte berühmt werden, seit er den Chansonnier Jacques Brel in einer Aufführung des Musicals „Der Mann von La Mancha“ gesehen hat. Als Jugendlicher sang er in verschiedenen Rockgruppen, doch seine Liebe zum Wort führte ihn bald zur Schauspielerei. Mit 17 schmiss er die Schule und erlernte seinen Beruf an diversen Schauspielschulen, darunter dem Cours Simon und dem Cours Cochet.

Seine erste Kinorolle spielte Cluzet 1980 in Diane Kurys' Cocktail Molotov. Im selben Jahr drehte er erstmals mit Claude Chabrol, einem Regisseur, dem er jahrzehntelang die Treue hielt: In Das Traumpferd nach einer Bestsellerbiografie spielte er einen bretonischen Landwirt der Jahrhundertwende. Schnell machte sich Cluzet einen Namen und war in den 80er und 90er Jahren in einigen der größten französischen Kinoerfolgen zu sehen, darunter Ein mörderischer Sommer, Der Preis der Freiheit und Der Husar auf dem Dach.

Cluzet drehte mit den wichtigsten Regisseuren seiner Heimat, darunter Bertrand Tavernier und Bernard Blier und wurde als Partner für die größten weiblichen Stars des Landes engagiert, darunter Isabelle Huppert, Carole Bouquet, Emmanuelle Béart, Juliette Binoche und Nathalie Baye. Aber auch in internationalen Produktionen, darunter Robert Altmans Prêt-à-porter und Lawrence Kasdans French Kiss, war er zu sehen.

Nachdem er bereits 1984 mit dem begehrten Nachwuchspreis Prix Jean Gabin ausgezeichnet wurde, gewann François Cluzet seinen ersten César als Bester Hauptdarsteller in Guillaume Canets erfolgreichem Thriller Kein Sterbenswort. Neben Laetitia Casta und Charlotte Gainsbourg hat er zuletzt den bislang namenlosen neuen Film von Yvan Attal, ein Remake der US-Komödie Humpday, abgedreht. Jetzt ist er in der Komödie Ziemlich beste Freunde in den Kinos zu sehen.

Was begeisterte Sie bei der ersten Lektüre des Drehbuchs zu Ziemlich beste Freunde am meisten?

Die Tatsache, dass es in der Geschichte um zwei Figuren geht und um den Beginn einer Freundschaft, dass schlicht und ergreifend die Geschichte zweier Männer erzählt wird. Was mich betrifft, spiele ich am liebsten für einen Partner. Und als wir ans Set kamen, merkte ich sofort, dass Omar genauso tickt wie ich – und ebenfalls für mich spielte.

Ziemlich beste Freunde verdankt Omar so unglaublich viel. Er ist ein außergewöhnlicher Mensch. Ich hatte wirklich den Eindruck, dass er den Film trägt. Ich sagte oft zu ihm: „Vergiss nicht, dass du für uns beide spielen musst, ich kann ja nichts machen...“ [lacht]. Wir verstanden uns auf Anhieb blendend.

Empfanden Sie die Rolle eines Querschnittsgelähmten als schauspielerische Herausforderung?

Ja, weil ich ein Schauspieler bin, der nicht besonders auf Dialoge steht und am liebsten wortlos spielt. Was wiederum bedeutet, dass ich unter normalen Umständen meinen Körper brauche, um etwas an Stelle der Wörter auszudrücken. Doch in diesem Fall, das war klar, stand mir mein Körper nicht zur Verfügung. Wenn es keinen Körper gibt, mit dem ich spielen kann, höre ich eben zu, partizipiere, nehme mir das, was ich nehmen kann, und lache über Dinge, die witzig sind.

So entsteht ja auch die Verbundenheit zwischen Philippe und Driss. Auf der einen Seite eine aktive Figur, auf der anderen eine inaktive. In gewisser Hinsicht wird Driss zu meinem Körper. Wenn er tanzt, ist es ein wenig so, als würde auch ich tanzen. Wenn er Witze macht, mache auch ich gewissermaßen Witze. Weil die beiden so unterschiedlich sind, sind sie wie füreinander gemacht. Und jeder macht einen Schritt auf den anderen zu.

François, Sie und Ihre beiden Regisseure besuchten Philippe Pozzo di Borgo in seinem Haus in Essaouia. Woran erinnern Sie sich besonders?

Diese Begegnung war sehr bewegend. Sie half mir, mich noch mehr für diesen Film zu engagieren und mein ganzes Herzblut hineinzulegen. Hätte ich einen, sagen wir, gesichtslosen Querschnittsgelähmten spielen müssen, wäre mir das viel schwerer gefallen. Aber den Alltag dieses Mannes zu erleben und ihm dabei zuzuhören, wie er von seinem Leben erzählt, hat mir sehr geholfen.

Welche Vorbereitungen waren anschließend nötig, um sich in Philippe zu verwandeln?

Nachdem ich restlos von Omars Talent überzeugt war und es, auf indirekte Weise, selbstverständlich erscheint, dass meine Filmfigur ihn als Pfleger einstellt, bestand meine Arbeit im Grunde nur noch darin, loszulassen. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb ich Schauspieler geworden bin. Der Beruf ermöglicht es mir, mich zu vergessen. In meinen Rollen muss ich nie schöner oder großzügiger sein. Darum geht es nicht bei meiner Arbeit. Und meine Filmfigur dürstet nach dem Alltäglichen, obwohl sie sich in einer nicht alltäglichen Lage befindet. Selbst wenn Driss ihm manchmal Dinge vorschlägt, die die Grenzen überschreiten, geht Philippe darauf ein, weil er sie noch nicht kennt und weil er (wie ein Kind) alles erleben möchte.

Beim Dreh von Ziemlich beste Freunde musste ich Selbstverleugnung üben, was mir immer viel Spaß macht. Denn der Film erzählt ja auch davon, wie Philippe akzeptieren lernt, dass Driss ein so großes Herz besitzt, dass er sich für zwei bewegt und für zwei Witze reißt. Schritt für Schritt musste ich also versuchen, sein Partner zu werden, auf ihn zu reagieren, ihn zum Lachen zu bringen, weil er mich zum Lachen bringt, ihm das Leben zu erleichtern, weil er es mir erleichtert. All das, um schließlich die Behinderung vergessen und sagen zu können: Ich bin glücklich, wenn er in meiner Nähe ist.

Ich möchte noch einmal den Aspekt der Selbstverleugnung betonen, denn meiner Meinung nach ist er in unserem Job ausschlaggebend. Es darf sich doch nicht immer alles um einen selbst drehen. Im Gegenteil: Was für eine Chance, wenn dein Partner den tragenden Part übernimmt! Menschlich betrachtet ist das sehr aufregend. Ich hatte den Eindruck, dass ich am Ende der Dreharbeiten an Gelassenheit gewonnen hatte.

War Ihnen auf Anhieb klar, dass Sie sich so gut mit Omar verstehen würden, oder ergab sich das erst mit der Zeit?

Als Eric und Olivier mir mitteilten, dass Omar die Figur des Driss spielen würde, habe ich mir seine Arbeit bei Canal+ ein bisschen genauer angesehen. Und es gefiel mir. Seine Bandbreite ist ziemlich groß. Trotzdem war Vorsicht geboten, denn es handelt sich um Sketche, was nicht die gleiche Arbeit ist wie bei einem Film wie Ziemlich beste Freunde. Anschließend sah ich mir Tellement proches an, und darin fand ich ihn wirklich bemerkenswert. Außerdem wurde mir klar, wie sehr Eric und Olivier ihn mögen mussten, um ihn für so eine untypische Rolle zu engagieren.

Er ist großartig, weil man seinem Spiel nicht die geringste ironische Distanzierung anmerkt. Er geht total darin auf, versucht nicht, intelligenter als die Rolle zu sein. Wirklich, er ist ein großartiger Schauspieler! Bevor unser gemeinsames Abenteuer begann, war ich also einigermaßen beruhigt. Als wir uns dann kennenlernten, hatte ich den Eindruck, dass Omar, auch wenn er vieles für sich behält, mir Vertrauen entgegenbringt. Ich wollte, dass wir ein Tandem bilden. Dass wir uns zueinander bekennen, von Mensch zu Mensch, von Schauspieler zu Schauspieler.

Unterm Strich sind wir doch nur zwei Typen, die sich auf einem Pausenhof amüsieren und froh sind, wenn sie einen guten Gegenspieler haben. Ich kann von Glück sagen, und das betone ich gern, dass ich einem echten Prinzen begegnet bin, jemandem, der intakt, aufrecht und großzügig ist.

Bei dem Tandem, das Sie und Omar bilden, bestand durchaus die Gefahr, dass sich zwei Schauspieler begegnen, die ausschließlich für sich selbst spielen. Sie hingegen bilden eine Art Hydra mit zwei Köpfen. Sich den einen ohne den anderen vorzustellen, geht nicht...

Tja, das predige ich doch schon seit Jahren! Der Wettbewerb unter Kollegen ist ein Ding der Vergangenheit, vorbei die Zeiten, als am Set eine Art Kalter Krieg aufgebaut wurde, damit der Star des Films alle anderen zerquetschen konnte. Denn so viel Verantwortung haben wir nun auch wieder nicht, auch wenn schlechte Schauspieler das denken mögen. Schauspieler werden überbewertet. Wir sind lediglich Gaukler. Und wir sollten uns dessen stets bewusst sein. Ich habe als Laienspieler begonnen. Und im Grunde möchte ich nie ein arrivierter Profi werden. Mein Erfolg gibt mir die Selbstsicherheit, die ich brauche, um mich wieder dem Laienspiel hinzugeben, sprich: der Lust am Teilen und dem Nicht-Spielen, dem Auf-Zuruf-leben.

In dieser Hinsicht waren Omar und die Regisseure echt begnadet, und deshalb fiel mir alles ganz leicht. Auch Philippe Pozzo di Borgos Wohlwollen hat mich getragen. Ich kenne seine Schwester, sie war die Kostümbildnerin von Janis and John, und ich mag sie sehr. Ich wusste also von seinem Unfall. Später las ich das Buch, das Pozzo geschrieben hatte. Dieser Mann, der sagt, dass seine größte Behinderung nicht darin besteht, dass er im Rollstuhl sitzt, sondern dass er ohne seine geliebte Frau leben muss, die gestorben ist. Genau das musste ich darstellen können: die Verletzlichkeit eines Mannes, den die Liebe zum Waisenkind gemacht hatte.

Hat sich Ihre Sicht auf Philippe im Lauf der Dreharbeiten verändert?

Für mich bestand die Schwierigkeit darin, dass wir eine Komödie drehen wollten, dass ich mich aber längst nicht so lächerlich machen konnte wie in meiner Rolle in ►Kleine wahre Lügen, bei der ich sehr viel Spaß hatte. Die Last der Behinderung drückte auf meine Schultern, und ich musste diesen Zustand wahrhaftig rüberbringen. Mich zu bewegen, war völlig ausgeschlossen, trotzdem musste ich absolut präsent sein: zuhören, meine Sinne schärfen...

Philippe ist ein echter Mensch, deshalb musste auch ich in jeder Situation echt sein. Irgendwie hatte ich total vergessen, dass er ja auch leidet. Beim Dreh wurde mir das jedoch schnell wieder bewusst. Vor manchen Szenen, in denen seine Schmerzen eine Rolle spielten, sonderte ich mich von den anderen ab, um mich vorzubereiten und zu konzentrieren. Körperübungen halfen mir dabei, mich selbst zu vergessen und das Leid meiner Figur nachzuempfinden.

Diese physische und sensorische Arbeit war unabdingbar, denn mein Körper stand mir ja nicht zur Verfügung, um die Dinge auszudrücken. Aber ohne Körper zu arbeiten, heißt nicht, dass der Körper nichts spürt. Das Gesicht muss ausdrücken, was man empfindet. Normalerweise streiche ich so manchen Dialog, um mehr mit dem Körper zu spielen. Diesmal war es umgekehrt.

Gab es Szenen, die eine besondere Herausforderung für Sie waren?

Nein – abgesehen davon, wie es mir gelingen würde, den Schmerz glaubwürdig wiederzugeben. Das habe ich auch nicht die ganze Zeit gespielt, immerhin befinden wir uns ja in einer Komödie. Man musste den Schmerz vergessen – und zugleich dafür sorgen, dass er immer präsent ist. Philippe wird von Phantomschmerzen gequält, die sich niemand vorstellen kann. Zum Beispiel tun ihm seine Beine weh, obwohl er sie eigentlich nicht mehr spüren soll.

Nakache und Toledano haben beim Schreiben einen Humor gewagt, der so nicht zu erwarten war. Sie bringen Hitler mit ins Spiel, Behindertenwitze... und entschuldigen sich für nichts, weder für Gefühliges noch für Witziges. Sie sind völlig enthemmt.

Weil sie wussten, dass das einzige, was Philippe nicht erträgt, Mitleid ist. Er will nicht, dass man ihm seinen Zustand immer wieder vor Augen führt – er tut es ja auch nicht. Er weiß, wie glücklich sich die anderen schätzen können, mobil zu sein. Aber er schätzt sich glücklich, weil er überhaupt am Leben ist! Diesen Standpunkt haben Eric und Olivier perfekt rübergebracht, indem sie sich durchgehend für den Humor entschieden. Abgesehen davon, hat jeder in diesem Tandem ein Handicap. Driss hat ein soziales Handicap, Philippe ein körperliches. Deshalb bedauert Driss Philippe auch nicht. Und dass er kein Mitleid empfindet, nimmt Philippe für ihn ein.

Beschreiben Sie bitte die Arbeitsweise von Eric und Olivier am Set.

Sie stellten hohe Ansprüche und waren sehr ehrgeizig. Deshalb fiel es mir nicht leicht, ihnen zu sagen, dass mein größter Ehrgeiz darin bestand, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass große Filme nur dann entstehen, wenn man das Leben zulässt. Eric und Olivier besitzen viel Fantasie und sind sehr geistreich. Mit ihnen vergehen die Tage wie im Flug und sind ausgesprochen angenehm. Sie lieben ihre Schauspieler und stehen ihnen immer zur Seite. Das muss auch so sein, um loslassen zu können, um nicht auf Krampf eine schauspielerische Glanzleistung abliefern zu wollen.

Ich versuche immer, nicht zu schauspielern – vergesse dabei aber auch nicht, dass nur der Film als Ganzes zählt und dass ich, selbst ohne mich zu bewegen, etwas beitragen muss, das ihm Kraft und Energie gibt. Eric und Olivier haben mich unablässig motiviert. Auch bei den Szenen, in denen Philippe allein ist und zu kapitulieren beginnt, weil er am Ende seiner Kräfte ist. Dann gibt er sich seiner Verzweiflung hin – auch wenn er es nicht zeigt, denn er bewahrt sich stets einen letzten Rest von Zurückhaltung.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den fertigen Film sahen?

Eigentlich gelingt es mir nie, die Filme, in denen ich mitspiele, wirklich anzusehen. Doch diesmal hat es mich berührt. Ich sah einen Film, der funktioniert, weil es sich um eine echte Gemeinschaftsarbeit handelt. Ziemlich beste Freunde geht mir auch deshalb zu Herzen, weil ich jetzt weiß, dass wir recht damit hatten, uns zurückzunehmen – Schauspieler, die glauben, sich in den Vordergrund spielen zu müssen, werden nur sehr mittelmäßige Filme drehen. Die schauspielerische Leistung sollte im Dienst des Films stehen, nicht umgekehrt.

Dieser Film handelt wahrhaft von einem Tandem. Nie muss man sich als Zuschauer zwischen Driss oder Philippe entscheiden. Das ist die Quintessenz unseres Jobs. Und das gilt auch für die Art und Weise, wie Eric und Olivier arbeiten: Keiner von beiden hat ein übertriebenes Ego. Ich bin froh, zu sehen, dass es möglich ist, gutgelaunt und einmütig schöne Filme zu drehen. Und im Übrigen: Je leichter man mir das Leben macht, desto besser spiele ich – weil ich dann das Gefühl habe, dass ich den anderen etwas schuldig bin. ■ mz | Quelle: Senator

2. Januar 2012
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OT: Intouchables
F 2011
Komödie/Drama
112 min


mit
François Cluzet (Philippe) Frank Röth
Omar Sy (Driss) Sascha Rotermund
Anne Le Ny (Yvonne)
Audrey Fleurot (Magalie) Silke Matthias
Clotilde Mollet (Marcelle)
Alba Gaïa Bellugi (Elisa)
Cyril Mendy (Adama)
Christian Ameri (Albert)
Grégoire Oestermann (Antoine) Helmut Gauß
u.a.

musik
Ludovico Einaudi

kamera
Mathieu Vadepied

drehbuch
Olivier Nakache
Eric Toledano

regie
Olivier Nakache
Eric Toledano

produktion
Quad Productions
Chaocorp
Gaumont
TF1 Films Production

verleih
Senator

Kinostart: 5. Januar 2012